Nexus
sagte Stasia. «Eine so günstige Gelegenheit muß man ergreifen. Denk an Gauguin.»
«Oder an Lafcadio Hearn», setzte Mona hinzu.
«Oder Jack London», ergänzte Stasia. «Man kann nicht warten, bis alles rosig ist.»
«Ich weiß, ich weiß.» Ich setzte mich wieder und stützte den Kopf in die Hände.
Plötzlich rief Stasia: «Ich hab's! . . . Mona und ich fahren zuerst und lassen dich nachkommen, wenn wir Boden gefaßt haben. Wie wäre das?»
Hierauf antwortete ich nur mit Knurren. Ich hörte nur halb hin. Ich folgte ihnen nicht, ich war ihnen schon weit voraus. Ich wanderte bereits auf den Straßen Europas, fing ein Gespräch mit Vorübergehenden an, trank auf einer überfüllten Terrasse Absinth. Ich war allein, aber ich fühlte mich nicht im geringsten einsam. Die Luft hatte einen anderen Geruch, die Leute sahen anders aus. Selbst die Blumen und Bäume waren nicht dieselben. Wie ich mich danach sehnte — nach etwas anderem!
Frei reden können, verstanden, anerkannt werden. Ein Land mir eng Verwandter, das bedeutete Europa für mich. Die Heimat des Künstlers, des Vagabunden, des Träumers. Gewiß, Gauguin hatte es schwer genug dort gehabt, van Gogh erging es noch schlimmer. Sicher gingen dort Tausende, von denen wir nichts wußten und nichts erfuhren, zugrunde, verschwanden aus dem Blickkreis, ohne etwas fertiggebracht zu haben ...
Müde erhob ich mich, mehr von der Aussicht, nach Europa zu kommen, erschöpft, die bis jetzt nur in der Vorstellung bestand, als von den langweiligen Stunden, die ich im Schoß der Familie zugebracht hatte.
«Ich werde schon noch hinkommen», sagte ich mir, als ich mich anschickte, ins Bett zu gehen. «Wenn sie es fertigbringen, dann kann ich es auch.» (Mit diesem «sie» meinte ich beide, die Illustren und die Versager.) «Selbst die Vögel schaffen es.»
Von dem Gedanken überwältigt, sah ich mich als einen neuen Moses, der sein Volk aus der Wüste führt. Die Flut aufhalten, das Verfahren umkehren, den großen Marsch nach rückwärts antreten, zurück zur Quelle. Diese große Wüste, die Amerika heißt, auskehren, sie von allen ihren Bleichgesichtern säubern, das sinnlose Jagen und Hasten abstellen . . . diesen Erdteil den Indianern zurückgeben... was für ein Triumph wäre das! Europa würde bestürzt sein über das Schauspiel. «Sind sie übergeschnappt, daß sie das Land verlassen, in dem Milch und Honig fließt? War Amerika denn nur ein Traum? Ja!» würde ich brüllen. Ein böser Traum dazu! Laßt uns von neuem beginnen. Laßt uns neue Kathedralen bauen, wieder gemeinsam singen, laßt uns Gedichte nicht über den Tod, sondern über das Leben schreiben! Schulter an Schulter wie eine Welle rollen wir daher, tun nur, was nötig und lebenswichtig ist, bauen nur, was dauern wird, erschaffen nur zur eigenen Freude. Laßt uns wieder zu dem unbekannten Gott beten, aber im Ernst, aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele. Möge uns der Gedanke an die Zukunft nicht zu Sklaven der Furcht machen. Laßt uns den Tag genießen. Öffnen wir unsere Herzen und unsere Häuser. Keinen Schmelztiegel mehr! Nur reines Metall, das edelste und älteste. Gib uns wieder Führer, Hierarchien, Gilden, Handwerker, Dichter, Juweliere, Staatsmänner, Gelehrte, Vagabunden und Quacksalber. Und Festzüge, keine Paraden, wirkliche Feste, Prozessionen und Kreuzzüge. Reden wir, weil uns das Reden Freude macht, arbeiten wir aus Liebe zur Arbeit, ehren wir andere aus Liebe zur Ehre . . .
Das Wort «Ehre» brachte mich zur Besinnung. Es rasselte mir wie ein Wecker in die Ohren. Man denke sich nur: die Laus in ihrer Ritze spricht von Ehre! Tiefer sank ich ins Bett, und im Einschlafen sah ich mich eine winzige amerikanische Flagge schwenken - das gute alte Sternenbanner. Ich hielt sie stolz in der Rechten, während ich loszog, auf Arbeitssuche. War es nicht mein Vorrecht, Arbeit zu fordern - ich, ein echter amerikanischer Bürger, der Sohn achtenswerter Eltern, ein frommer Verehrer des Radios, ein demokratischer, auf Fortschritt, Rassenvorurteile und Erfolg eingeschworener Strolch? So marschierte ich auf die Anstellung zu, die mir gebührte, auf den Lippen ein Versprechen, daß ich meine Kinder zu noch tüchtigeren Amerikanern machen würde, als meine Eltern waren, ja sie, wenn nötig, zum Nutzen unserer glorreichen Republik in Meerschweinchen verwandeln würde... Gebt mir ein Gewehr auf die Schultern und eine Zielscheibe, auf die ich schießen kann. Ich werde beweisen, ob ich Patriot bin oder nicht.
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