Nexus
menschliche Stammbaum ist nur ein großer Tannenbaum, der von ausgewachsenen, schön aufgemachten Irrsinnigen glitzert. Schon Adam muß ein anfälliges, einäugiges Monstrum gewesen sein... Ich will euch was sagen, wir brauchen was zu trinken. Ob wir wohl noch Kümmel daheim haben?»
«Ich mag deinen Vater gern», sagte Mona. «Viele seiner Züge finde ich in dir wieder, Val.»
«Aber seine Mutter!» warf Stasia ein.
«Was ist mit ihr?»
«Ich hätte sie schon längst erwürgt.»
Mona fand das komisch. «Eine sonderbare Frau», sagte sie. «Erinnert mich etwas an meine eigene Mutter. Heuchlerisch und eigensinnig wie Maultiere, auch tyrannisch und beschränkt. Haben nicht ein Quentchen Liebe in sich.»
«Ich werde nie Mutter sein», sagte Stasia. Wir lachten. «Auch keine Ehefrau, es ist wahrlich schon schwer genug, Frau zu sein. Ich hasse Frauen. Sie sind fast alle scheußliche Biester, selbst die besten. Ich bleibe, was ich bin — ein weiblicher Charakterdarsteller. Und bitte — zieht mich nie wieder so an! Ich komme mir vor wie ein Narr und dazu ganz unecht.»
Zu Hause zogen wir die Flaschen hervor. Es war tatsächlich noch Kümmel da und dazu noch Cognac, Rum, Benediktiner und Cointreau. Wir brauten uns starken schwarzen Kaffee, setzten uns an den Tisch und plauderten wie alte Freunde. Stasia hatte ihr Korsett ausgezogen. Es hing über der Stuhllehne, wie ein Museumsstück.
«Wenn ihr nichts dagegen habt», sagte sie, «lasse ich meine Brüste heraushängen.» Sie streichelte sie liebevoll. «Sie sind nicht übel, meint ihr nicht auch? Sie könnten vielleicht ein bißchen voller sein ... aber ich bin ja noch Jungfrau.
War das nicht merkwürdig», sagte sie dann, «daß er von Correggio sprach? Meint ihr wirklich, er kennt etwas von Correggio?»
«Möglich», sagte ich. «Er pflegte früher mit seinem Vorgänger Isaac Walker auf Auktionen zu gehen. Er mag sogar Cimabue oder Carpaccio kennen. Ihr sollt ihn einmal von Tizian sprechen hören! Man könnte denken, er hat mit ihm studiert.»
«Ich bin ganz durcheinander», sagte Stasia und schenkte sich noch einen Cognac ein. «Dein Vater spricht über Malerei, deine Schwester über Musik und deine Mutter vom Wetter. In Wirklichkeit hat keiner eine Ahnung. Sie sprechen wie Emporkömmlinge .. . Der Spaziergang über den Friedhof muß unheimlich gewesen sein. Ich hätte mich gefürchtet.»
«Val denkt sich nichts dabei», sagte Mona. «Ihm macht das nichts aus.»
«Warum? Denkt er, er fände dort Material, das er als Schriftsteller verwerten kann?»
«Vielleicht», sagte ich. «Vielleicht muß man durch Ströme von Scheiße waten, um einen Keim Wirklichkeit zu finden.»
«Ich nicht», sagte Stasia. «Da gehe ich lieber ins Village , und mag dort noch soviel Krampf sein. Wenigstens kann man dort reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist.»
Mona war gerade eine glänzende Idee gekommen. Sie teilte sie uns sofort mit. «Warum gehen wir nicht alle nach Europa?»
«Ja», sagte Stasia leichthin, «warum eigentlich nicht?»
«Das dürfte uns nicht so schwerfallen», sagte Mona.
«Sicher nicht», sagte Stasia, «das Reisegeld kann ich mir immer zusammenpumpen. »
«Und wovon sollen wir leben, wenn wir einmal dort sind?» wollte ich wissen.
«Genau wie hier», erklärte Mona. «Ganz einfach.»
«Und wie sollen wir mit der Sprache durchkommen?»
«Jeder versteht dort Englisch, Val.»
«Es sind eine Menge Amerikaner in Europa, besonders in Frankreich.»
«Sie könnten wir anzapfen, meinst du?»
«Das habe ich nicht gesagt. Ich sage nur, wenn man wirklich dorthin will, findet sich immer ein Weg.»
«Wir könnten Modell stehen», sagte Stasia. «Zumindest Mona. Ich bin zu behaart.»
«Und ich? Was soll ich tun?»
«Schreiben!» sagte Mona. «Mehr kannst du ja nicht.»
«Ich wollte, es wäre wahr.» Ich stand auf und ging im Zimmer hin und her.
«Was quält dich denn?» fragten sie.
«.Europa! Ihr werft mir das plötzlich als fetten Köder hin. Ihr seid Träumer, nicht ich. Sicher ginge ich gern hin. Ihr wißt nicht, wie es mir einen Ruck gibt, wenn ich nur das Wort höre. Ich sehe dann ein neues Leben vor mir. Aber wie soll man dort existieren? Wir können kein Wort Französisch, wir haben auch keine besonderen Fähigkeiten. Das einzige, was wir können, ist Leute rupfen. Und selbst darin haben wir es nicht weit gebracht.»
«Du gehst mit geradezu tierischem Ernst an die Sache heran», sagte Mona. «Laß doch deine Phantasie spielen!»
«Ja»,
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