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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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zusammen: «Ich für meinen Teil möchte Ihnen folgendes sagen: Ich weiß wenig von Schriftstellern oder vom Schreiben, aber ich bin überzeugt, daß nur ein Schriftsteller so hätte sprechen können wie Sie. Nur eine außergewöhnliche Persönlichkeit, will ich hinzufügen, würde die Kühnheit gehabt haben, einen Mann in meiner Stellung ins Vertrauen zu ziehen. Ich fühle mich Ihnen zu Dank verpflichtet. Sie geben mir das Gefühl, daß ich größer und besser bin, als ich selbst dachte. Sie mögen in verzweifelter Lage sein, wie Sie sagen, aber es fehlt Ihnen sicher nicht an Findigkeit. Ein Mann wie Sie kann nicht untergehen. Ich werde Sie sicher nicht so leicht vergessen. Was auch geschieht, ich hoffe, Sie werden mich als Freund betrachten. In einigen Wochen, denke ich, wird diese Unterredung für Sie bereits gegenstandslos sein.»
    Ich errötete bis an die Haarwurzeln. Eine solche Antwort war mir lieber, als eine Nische in dem Unternehmen Hobson and Holbein zu finden.
    «Wollen Sie mir noch einen Gefallen tun?» fragte ich. «Dann begleiten Sie mich bitte an den Aufzug.»
    «Haben Sie einen Zusammenstoß mit Jim gehabt?»
    «Woher wissen Sie das?»
    Er faßte mich beim Arm. «Er ist nicht befugt, den Aufzug zu bedienen. Er ist absolut unberechenbar. Aber der Boss will ihn unbedingt halten. Er ist Kriegsveteran und entfernt mit der Familie verwandt, glaube ich. Aber er ist eine Plage.»
    Er drückte auf den Knopf, und der Lift kam langsam herauf. Jim, wie er den Wahnsinnigen nannte, schien überrascht, als er uns beide da stehen sah. Als ich in den Aufzug trat, streckte mir Mr. Larrabee noch einmal die Hand hin und sagte, offenbar für Jims Ohren: «Vergessen Sie nicht, wenn Sie jemals -» und er legte Nachdruck auf dieses jemals - «wieder hier in der Nähe sind, mich zu besuchen. Vielleicht können wir das nächste Mal zusammen essen. Ja, ich werde Mister Higginbotham noch heute abend schreiben. Ich bin sicher, die Sache wird ihn bestimmt interessieren. Also auf Wiedersehen!»
    «Auf Wiedersehen», sagte ich, «und herzlichen Dank!»
    Als der Aufzug langsam nach unten sank, hielt ich meine Augen geradeaus gerichtet. Ich machte ein Gesicht, als sei ich tief in Gedanken versunken. Und doch war nur ein Gedanke in meinem Kopf: wann wird er explodieren? Ich hatte das Gefühl, daß er jetzt noch giftiger auf mich war, weil ich ihn überlistet hatte. Ich war vorsichtig und wachsam wie eine Katze. Was, so dachte ich, würde ich tun ... was konnte ich tun, wenn er plötzlich zwischen zwei Stockwerken den Strom abstellte und sich auf mich warf? Aber er sagte kein Wort und rührte sich nicht. Wir erreichten das Erdgeschoß, die Tür glitt auf, und ich trat heraus . . . ein Pinocchio mit verbrannten Beinen.
    Die Halle war leer. Ich ging auf die Tür zu, sie war nur ein paar Meter entfernt. Jim blieb auf seinem Posten, als wäre nichts passiert. Wenigstens hatte ich das Gefühl, daß es so war. Auf halbem Wege zur Tür drehte ich mich jedoch auf einen Impuls hin um und ging zurück. Jims Gesichtsausdruck schien mir zu sagen, daß er gerade das von mir erwartet hatte. Als ich näher kam, sah ich, daß gar kein Ausdruck mehr vorhanden war, sein Gesicht war leer. Hatte er sich in sein steinernes Selbst zurückgezogen — oder plante er einen hinterhältigen Angriff?
    «Warum hassen Sie mich?» fragte ich und sah ihm gerade ins Auge.
    «Ich hasse niemanden», war die unerwartete Antwort. Nur seine Mundmuskeln bewegten sich dabei. Selbst seine Augen blieben starr.
    «Verzeihung», sagte ich und machte eine halbe Wendung, als wenn ich fortgehen wollte.
    «Ich hasse Sie nicht», sagte er, indem er plötzlich lebendig wurde. «Ich bemitleide Sie. Sie können mich nicht täuschen. Niemand kann das.» Ich erschrak innerlich. «Was meinen Sie damit?» stammelte ich.
    «Keine Redensarten!» verwies er mich. «Sie wissen genau, was ich meine.»
    Ein kalter Schauer rann mir den Rücken auf und ab. Es war, als hätte er gesagt: «Ich habe das zweite Gesicht. Ich kann in Ihren Gedanken lesen wie in einem Buch.»
    «Und was weiter?» fragte ich, erstaunt über meine Frechheit.
    «Gehen Sie nach Hause und bringen Sie Ihr Inneres in Ordnung.»
    Ich war verblüfft. Er war wirklich unberechenbar, wie Mr. Larrabee gesagt hatte, denn was folgte, ließ sich nicht voraussehen.
    Wie hypnotisiert sah ich ihm zu, wie er seine Ärmel hinaufschob und mir eine furchtbare Narbe zeigte. Dann zog er ein Hosenbein hoch, und ich sah weitere furchtbare Narben.

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