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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Diesmal jedoch nicht. Alles verlief jetzt glatt und mit fachmännischer Präzision.
    Ich setzte mich auf den Marterstuhl und sperrte den Mund weit auf. Es war nur eine kleine Höhlung da, die er sofort füllen wollte. Er ließ den Bohrer schnurren und überschüttete mich mit Fragen. Ob alles gutgehe, ob ich noch schriebe, ob ich Kinder hätte, warum ich ihn nicht schon früher aufgesucht hätte, wie es dem und dem ginge, ob ich noch Rad führe. Ich antwortete nur mit Grunzen und rollenden Augen.
    Endlich war es vorbei. «Nun laufen Sie nicht gleich wieder fort», sagte er. «Zuerst wollen wir einen kleinen Schluck trinken!» Er öffnete einen Wandschrank und holte eine Flasche ausgezeichneten schottischen Whisky heraus, dann setzte er sich auf einen Hocker neben mich, «jetzt erzählen Sie mal alles!»
    Ich konnte natürlich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, sondern mußte erst ein bißchen drum rumreden, ehe ich zur Hauptsache kam. Ich hielt ihm also zuerst einen kleinen Vortrag über unseren finanziellen Status. Schließlich platzte ich damit heraus - mit dem Tumor . Sofort teilte er mir mit, er habe einen guten Freund, einen ausgezeichneten Chirurgen, der die Operation umsonst machen würde. Da saß ich in der Falle. Ich konnte nur sagen, daß die Vorbereitungen schon getroffen wären, ich hätte schon hundert Dollar Vorschuß auf die Operation bezahlt.
    «Das ist zu dumm», sagte er. Er dachte einen Augenblick nach, dann fragte er: «Wann müssen Sie das übrige haben?»
    «Übermorgen.»
    «Ich will Ihnen was sagen, ich gebe Ihnen einen nachdatierten Scheck. Mein Bankkonto hat gerade jetzt Ebbe. Wieviel brauchen Sie genau?»
    «Zweihundertfünfzig Dollar», sagte ich.
    «Schade. Diese Ausgabe hätte ich Ihnen ersparen können.»
    Ich bekam plötzlich Gewissensbisse. «Lassen wir es. Denken Sie nicht mehr dran. Ich möchte Ihnen nicht Ihren letzten Cent nehmen.»
    Darauf wollte er aber nicht eingehen. Die Leute ließen sich Zeit mit der Bezahlung ihrer Rechnungen, daher die augenblickliche Schwierigkeit. Er zog ein dickes Kontobuch hervor und blätterte ein paar Seiten durch. «Am Ende des Monats müßte ich etwa dreitausend Dollar bekommen. Sie sehen», lachte er, «so ein armer Teufel bin ich denn doch nicht.»
    Mit dem Scheck in der Tasche blieb ich noch ein wenig, um das Gesicht zu wahren. Als er mich schließlich zum Aufzug begleitete - ich hatte schon einen Fuß hineingesetzt - sagte er: «Rufen Sie mich lieber vorher an, ehe Sie den Scheck einlösen, damit Sie sicher wissen, daß Deckung vorhanden ist. Aber tun Sie's auch wirklich, nicht wahr?»
    «Sicher», sagte ich und winkte adieu.
    «Derselbe gutherzige Kerl wie früher», dachte ich, als der Aufzug sich senkte. Dumm, daß ich nicht daran gedacht habe, ihn um etwas Bargeld zu bitten. Ein Kaffee und eine Apfeltorte hätten mir jetzt gutgetan. Ich fühlte in meine Tasche. Ein paar Cents fehlten mir. Dieselbe alte Geschichte.
    Als ich zur Bibliothek Ecke Fifth Avenue und 42nd Street kam, überlegte ich mir gerade das Für und Wider, ob ich mich als Schuhputzer etablieren sollte oder nicht. Ich wunderte mich, wie ich auf einen solchen Gedanken gekommen war. Ich war nahe an vierzig und wollte jetzt anfangen, anderen Leuten die Schuhe zu putzen. Wie die Gedanken doch wandern!
    An der durch die friedlichen steinernen Löwen bewachten Esplanade ergriff mich das Verlangen, in die Bibliothek zu gehen. In dem großen Lesesaal war es immer so angenehm gemütlich. Übrigens war ich plötzlich neugierig darauf geworden, wie es anderen Schriftstellern in meinem Alter ergangen war. (Es bestand auch die Möglichkeit, dort einen Bekannten zu treffen und so schließlich doch den Kaffee und die Apfeltorte zu bekommen.) Um das Leben von Männern wie Gorki, Dostojewski, Andrejew und andern ihrer Art brauchte ich mich nicht zu kümmern, das stand fest. Dickens kam auch nicht in Frage. Aber wie war es mit Jules Verne? Von dessen Leben wußte ich gar nichts. Es könnte interessant sein. Einige Schriftsteller, so schien es, hatten überhaupt kein Privatleben, alles ging in ihre Bücher über. Strindbergs, Nietzsches und Jack Londons Leben kannte ich fast so gut wie mein eigenes.
    Zweifellos hoffte ich, auf einen Lebenslauf zu stoßen, der keinen sichtbaren Anfang hat, der uns durch Marschen und Salzpfannen führt, anscheinend ohne Plan, Absicht oder Ziel versickert und dann plötzlich wieder an die Oberfläche tritt, wie ein Geysir aufspritzt und dann nicht mehr mit

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