Nexus
den profanen Augen alles darbieten mußten. Wer die Feder in die Hand nahm, schien dadurch die «Archonten» herbeizurufen. Ja, die Archonten! Diese geheimnisvollen Wesen, diese kosmischen Fermente, die in jedem Samen am Werke sind, welche die strukturelle und ästhetische Form jeder Blume, jeder Pflanze, jedes Baumes, jedes Weltalls steuern. Die Innenmächte. Ein immerwährendes Ferment, von dem Gesetz und Ordnung stammen.
Während diese unsichtbaren Wesen ihre Aufgabe in Angriff nahmen, lebte und atmete der Autor - was für eine irrtümliche Bezeichnung! -, erfüllte die Pflichten eines Hausvaters, Gefangenen oder Vagabunden, je nachdem, welche Rolle ihm zugefallen war, und im Verlauf der Tage oder Jahre entfaltete sich das Rollbild - die Tragödie (seine eigene oder die seiner Personen) wurde deutlich, wobei seine Stimmungen wie das Wetter von Tag zu Tag wechselten, seine Gedanken wie ein Meeresstrudel zischten und schäumten, und so kam das Ende allmählich näher, ein Himmel, in den er eindringen mußte, selbst wenn er ihn nicht verdient hatte, weil zu Ende kommen muß, was begonnen ist, mag es auch am Kreuz sein.
Wozu sich also in eine Biographie versenken? Warum den Wurm oder die Ameise studieren? Man denke nur einen Augenblick an solche willfährigen Opfer wie Blake, Böhme, Nietzsche, Hölderlin, Sade, Nerval, Villon, Rimbaud, Strindberg, Cervantes oder Dante, ja sogar an Heine oder Oscar Wilde! Und ich? Sollte ich meinen Namen dieser Schar berühmter Märtyrer hinzufügen? In welche Tiefen der Erniedrigung muß ich noch sinken, bevor ich das Recht habe, mich in die Reihen dieser Sündenböcke einzugliedern?
Wie auf meinen Wegen von und zu dem Schneidergeschäft bekam ich plötzlich einen Anfall von Schreibfieber. Alles spielte sich natürlich im Kopf ab. Aber was für wunderbare Seiten, was für prächtige Formulierungen gelangen mir da! Mit halbgeschlossenen Augen sank ich noch mehr auf meinem Sitz zusammen und lauschte der aus den Tiefen aufwallenden Musik. Was für ein Buch war das! Wenn es nicht mein eigenes war, wem gehörte es dann? Ich war verzaubert. Ja, verzaubert wohl, aber auch betrübt, gedemütigt und ernüchtert. Was hatte es für einen Sinn, diese unsichtbaren Arbeiter herbeizurufen, nur um das Vergnügen zu haben, sie in dem Ozean schöpferischer Tätigkeit zu ertränken? Niemals würde ich durch bewußte Anstrengung, mit der Feder in der Hand, solche Gedanken hervorrufen können. Alles, worunter ich schließlich meinen Namen setzen würde, wären nur Randbemerkungen periphere Ausführungen, Gefasel eines Idioten, der sich bemüht, den regellosen Flug eines Falters nachzuzeichnen ... Tröstlich war nur die Erkenntnis, daß man so fliegen konnte wie ein Schmetterling.
Zu denken, daß dieser ganze Reichtum, der Reichtum des ursprünglichen Chaos, um schmackhaft und trinkbar zu sein, mit den homerischen ausführlichen Einzelheiten des Alltags durchdrungen werden muß, mit dem stets wiederholten Drama armseliger Menschlein, deren Leiden und Bestrebungen selbst für sterbliche Ohren das monotone Klappern von Windmühlen im erbarmungslosen Raum haben! Die Kleinen und die Großen - nur durch winzige Zwischenräume getrennt. Alexander stirbt in den trostlosen Weiten Asiens an Lungenentzündung. Caesar in seinem Purpur wird durch eine Schar von Verrätern als sterblich erwiesen. Blake singt auf dem Sterbebett. Damien wird aufs Rad geflochten und kreischt wie tausend Adler, denen die Gelenke verdreht werden. Was macht das aus, und wer kümmert sich darum? Ein Sokrates, der an ein zänkisches Weib gefesselt ist, ein Heiliger, der mit tausend Plagen behaftet ist, ein Prophet, der geteert und gefedert wird . .. wozu das alles? Alles Korn für die klappernde Mühle, Daten für Geschichtsschreiber und Chronisten, Gift für das Kind, Kaviar für den Schulmeister. Und hiermit und hierdurch torkelt der Schriftsteller wie ein erleuchteter Trunkenbold auf seinem Weg weiter und erzählt seine Geschichte, lebt und atmet, wird geehrt oder verfemt. Was für eine Rolle! Gott schütze uns!
9
Es gab weder Kaffee noch Apfeltorte. Es war dunkel, die Avenue leer, als ich wieder an die Luft kam. Ich hatte einen Wolfshunger. Mit den paar Cents, die ich bei mir hatte, kaufte ich mir eine Zuckerstange und wanderte heim. Ein schrecklich langer Spaziergang, besonders mit leerem Magen. Aber in meinem Kopf war ein Gesumme wie in einem Bienenkorb. Zur Gesellschaft hatte ich Märtyrer, die eigenwilligen Schwärmer früherer
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