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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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vorbeizugehen, ohne ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Sie bezogen sich gewöhnlich auf die Verderbnis, die Alkohol, Tabak und so weiter bringen.
    Manchmal schlenderte ich nur um den Block, zu entmutigt, um das Verlangen zu haben, meine Beine zu bewegen. Bevor ich zu Bett ging, las ich wohl ein Stück aus der Bibel. Sie war das einzige Buch, das wir im Hause hatten. Ein großartiges Geschichtenbuch, bei dem man gut einschlafen konnte. Nur die Juden konnten es schreiben. Ein Goi verliert sich in all dem genealogischen Zeug, der Blutschande, der Metzelei, den endlosen Aufzählungen, Bruder- und Vatermord, Seuchen, dem Überfluß an Nahrung, an Frauen, Kriegen, Morden, Träumen, Prophezeiungen ... Keine logische Abfolge, Nur ein Theologiestudent kann das Alte Testament mit den Apokryphen zu Ende lesen... Es kommt nichts dabei heraus. Das Neue Testament ist ein Vexierbuch -«nur für Christen».
    Ich wollte hiermit nur sagen, daß ich eine Vorliebe für das Buch Hiob gefaßt hatte. «Wo wärest du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug!» Das war ein Satz, der mir gefiel. Er paßte zu meiner Bitterkeit, zu meiner Qual. Besonders gefiel mir der Zusatz: «Sage an, bist du so klug!» Niemand ist so klug. Jehova genügte es nicht, Hiob mit Geschwüren und anderen Leiden zu plagen, er gab ihm auch noch Rätsel auf. Immer wieder, wenn ich mich mit Königen, Richtern, dem vierten Buch Mosis und anderen schweißtreibenden, von Weltentstehung, Beschneidung und den Qualen der Verdammten handelnden Teilen herumgeschlagen hatte, kehrte ich zu Hiob zurück und fand Trost darin, daß ich nicht zu den Auserwählten gehörte. Am Ende wird Hiob, wenn man sich erinnert, reichlich belohnt. Meine Leiden waren unbedeutend, sie waren kaum größer als ein Pißpott.
    Ein paar Tage später, ich glaube, es war nachmittags, kam die Nachricht, daß Lindbergh den Atlantischen Ozean überflogen hatte. Alle aus dem Büro waren nach draußen gelaufen, schrien, brüllten, pfiffen und gratulierten einander. Dieser hysterische Jubel war im ganzen Lande gleich. Es war eine gewaltige Tat, und es waren Millionen Jahre dazu nötig gewesen, bis ein gewöhnlicher Sterblicher sie vollbringen konnte.
    Meine eigene Begeisterung war verhaltener. Sie wurde durch einen Brief gedämpft, den ich am Morgen dieses Tages erhalten hatte, einen Brief, in dem mir kurz und bündig mitgeteilt wurde, daß meine Frau mit einigen Bekannten auf dem Wege nach Wien sei. Die liebe Stasia, erfuhr ich ebenfalls, war irgendwo in Nordafrika. Sie war mit dem närrischen Österreicher davongegangen, der sie für ein Genie hielt. Nach dem Ton des Briefes hätte man annehmen können, daß sie nach Wien gefahren war, um jemanden zu ärgern. Sie erklärte natürlich nicht, wie sie dieses Wunder vollbrachte. Lindberghs Eroberung der Luft war mir leichter verständlich als ihre Reise nach Wien.
    Ich las den Brief zweimal durch, um zu entdecken, wer diese Bekannten waren. Die Lösung des Rätsels war einfach. Man brauchte für «einige» nur «einen» Bekannten zu lesen. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß dieser Reisebegleiter ein reicher, müßiger, junger und hübscher Amerikaner war. Noch wütender machte es mich, daß sie keine Adresse in Wien angegeben hatte, an die ich schreiben konnte. Ich mußte einfach warten - warten und grübeln.
    Lindberghs glänzender Sieg über die Elemente machte mir nur deutlich, daß ich im Vergleich mit ihm bisher gar nichts geleistet hatte. Ich hockte in einem Büro, tat eine Arbeit, die keinen Sinn hatte, und hatte nicht mal Taschengeld. Auf meine langen, herzzerreißenden Briefe bekam ich nur magere Antworten, während sie in der Welt herumfuhr und wie ein Paradiesvogel von Stadt zu Stadt flatterte. Was hatte es für einen Sinn, den Versuch zu unternehmen, nach Europa zu fahren? Wie sollte ich dort Beschäftigung finden, wo ich schon im eigenen Lande solche Schwierigkeiten hatte? Und warum sollte ich annehmen, daß sie meine Ankunft mit überschwenglicher Freude begrüßen würden?
    Je mehr ich über meine Lage nachdachte, desto mürrischer wurde ich. In äußerster Verzweiflung setzte ich mich um fünf Uhr nachmittags an die Schreibmaschine, um in großen Linien das Buch zu skizzieren, das ich, wie ich mir immer wieder vorsagte, eines Tages schreiben würde. Mein Reichsgrundbuch, das Buch der Abrechnung. Es war, als schriebe ich meine eigene Grabschrift.
    Ich schrieb schnell, im Telegrammstil. Ich begann mit dem Abend, an dem ich

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