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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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genügend großen Zwischenraum zu schaffen, damit die Äste und Zweige nicht vorstehen, übereinanderhängen, aufeinander aufliegen, sich kreuzen, sich verschlingen, sich aneinander reiben oder mit den neben ihnen stehenden Bäumen in Berührung kommen, und ihnen so mehr Licht, natürlicheres Licht, mehr Luft, mehr Schönheit zu geben und den Fußgängern, den Durchgangsstraßen und ihrer näheren und weiteren Umgebung in allen Teilen von Queen's County, New York, sehr viel mehr Sicherheit gewähren ...»
    Wie schon gesagt, als ich diesen Brief zu Ende gelesen hatte, fühlte ich mich völlig entspannt, in Frieden mit der Welt und viel nachsichtiger mit meinem eigenen werten Selbst. Es war, als ob etwas von diesem Licht, diesem «natürlicheren Licht», mein Inneres durchdrungen hätte. Ich war nicht länger in einen Nebel der Verzweiflung eingehüllt. Es war mehr Luft, mehr Licht, mehr Schönheit für die ganze Umgebung: für meine innere Umgebung.
    Als daher der Samstagnachmittag gekommen war, machte ich mich nach Manhattan auf. Am Times Square kam ich an die Oberfläche, nahm in einem Automatenrestaurant rasch einen Bissen zu mir und steuerte dann das nächste öffentliche Tanzlokal an. Ich merkte nicht, daß ich dasselbe Rezept anwandte, das mich in meinen jetzigen elenden Zustand gebracht hatte. Erst als ich mich durch das riesige Portal des Itchigumi-Tanzpalastes, eines geistesgestört aussehenden Gebäudes in der Nähe des Cafe Mozambique drängte, fiel es mir ein, daß ich in einer ähnlichen Stimmung wie der jetzigen die steile, wacklige Treppe einer anderen Tanzhalle auf dem Broadway hinaufgeklettert war und dort die Geliebte gefunden hatte. Seit jener Zeit hatte ich nie mehr an solche Lokale und die Engel der Barmherzigkeit gedacht, die gelassen ihren sexuell ausgehungerten Gönnern das Fell über die Ohren zogen. Ich wollte nur für ein paar Stunden der Öde entfliehen, nur ein paar Stunden Vergessen kaufen - und zwar so billig wie möglich. Ich hatte keine Angst, mich noch einmal zu verlieben, ja nicht einmal, von einer ins Bett gezogen zu werden, obgleich ich das dringend brauchte. Ich wollte nur ein gewöhnlicher Sterblicher sein, eine Qualle meinetwegen im Meer des allgemeinen Getriebenseins. Ich wollte nur unter einem submarinen Regenbogen gedämpfter und sinnverwirrender Lichter in einem Strudel wohlriechenden Fleisches gestoßen und geschoben werden.
    Beim Betreten des Saales war mir zumute wie einem Bauern, der zu Besuch in die Stadt kommt. Ich war sofort geblendet, geblendet von einem Gesichtermeer, von der stinkenden Hitze, die aus Hunderten fanatisierter Körper aufstieg, von dem Trompetengeschmetter des Orchesters, von dem kaleidoskopischen Wirbel der Lichter. Alle Tanzenden waren in Fieberhitze, schien mir. Alle hatten einen angespannten, wachsamen Gesichtsausdruck, äußerst angespannt, äußerst wachsam. Die Luft knisterte von einem elektrisch geladenen Verlangen, von dieser alles verzehrenden Konzentration. Tausend verschiedenartige Parfüms vermengten sich mit der Hitze des Saales, mit Duft und Schweiß, mit dem Fieber, der Wollust der Häftlinge - denn Häftlinge, so schien mir, waren sie, ob nun der einen oder der anderen Art. Häftlinge des Scheidenvorhofs der Liebe. Besessene Häftlinge, die mit offenen Lippen aufeinander losgingen, mit trockenen, heißen, hungrigen Lippen, Lippen, die zitterten, die bettelten, die winselten, die flehten, die andere Lippen zerbissen und zerfleischten. Nüchtern obendrein, alle. Stocknüchtern. Zu nüchtern, wahrhaftig. Nüchtern wie Verbrecher, die gerade an die Arbeit gehen. Sie purzeln in einer riesigen, schnell rotierenden Kuchenform durcheinander, die farbigen Lichter spielen auf ihren Gesichtern, ihren Brüsten und ihren Lenden, schneiden sie in Bänder, in denen sie sich verwickeln und von denen sie umwickelt werden, doch ziehen sie sich wieder geschickt heraus, wie sie Körper an Körper, Wange an Wange, Lippe an Lippe herumwirbeln.
    Ich hatte vergessen, was das war, diese Tanzmanie. Zuviel allein, zu tief in meinem Kummer, zu sehr von Grübeleien mitgenommen. Hier herrschte Ausgelassenheit, mit ihrem namenlosen Gesicht und ihren rosasüßen Träumen. Hier war das Land der zwinkernden Zehen, der glatten Hinterbacken, des Lassen-Sie-nur-Ihre-Haare-herunter-Miss-Victoria-Njansa, denn Ägypten ist nicht mehr, noch Babylon, noch Gehenna; hier schwimmen die Paviane in voller Brunst im Bauch des Nils und suchen das Ende aller Dinge; hier werden die

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