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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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herum wahr. Er schien große Angst zu haben. Hagen wunderte sich, daß sein Bruder nicht zu seinem Fenster heraufblickte. Vor wem, wenn nicht vor Hagen, mußte er sich fürchten?
    Irgend etwas stimmte nicht. Dankwart knüllte das Bündel zusammen, sprang auf und lief eilig Richtung Rheinufer. Auf dem Weg dorthin passierte er eine Mauer aus Tannen, die zwischen ihm und der Burg stand wie eine Reihe finsterer Wachtposten. Dahinter verschwand er aus Hagens Blickfeld.
    Abermals ließ der Wind die Zweige der Eiche erbeben. Sie erinnerten Hagen an die ausgestreckten Hände einer Menschenmasse, die einer Hinrichtung entgegenfieberte.
    Wo blieb Dankwart? Er hätte längst das andere Ende der Tannenmauer erreicht haben müssen.
    Der Uferhang jenseits der Bäume blieb leer. Keine Spur von Dankwart.
    Ein seltsames Gefühl beschlich Hagen, verdrängte seine Wut. Eine merkwürdige Mischung aus Furcht und angespannter Erwartung. Plötzlich wußte er, daß etwas geschehen würde. Und er war nicht sicher, ob er dabei zusehen wollte.
    Ein Knirschen kroch über die Waldwipfel zum Fenster. Die Eichenzweige! Ihr morsches Reiben und Brechen drang bis zur Burg herauf, bis in Hagens Kammer, direkt an sein Ohr.
    Ein Schemen lenkte seine Aufmerksamkeit von der Eiche zurück zum Spalier der Tannenwächter.
    Da – sein Bruder lief den Hang hinunter! Er humpelte leicht, mußte hinter den Bäumen gestolpert sein. Über seinem rechten Knie war das Beinkleid zerrissen. Noch gut zehn Schritte, dann würde er am Ufer sein. Er lief so schnell er konnte, schaute sich nicht um. Falls etwas hinter ihm her war, so hatte er es noch nicht bemerkt.
    Ein Rauschen lief durch die Reihe der Tannen. Der Wind, vielleicht – oder etwas, das sich von Stamm zu Stamm hangelte, rasend schnell im Schutz der Zweige.
    Dankwart erreichte das Ufer. Die Strömung leckte zu seinen Füßen empor, schäumte vor Wut, als sie ihn nicht zu packen bekam.
    Dankwart ergriff das Bündel mit der Rechten, holte weit damit aus.
    Ein irres Kreischen gellte über den Wald.
    Auch Hagen schrie. »Nein!« brüllte er aus dem Fenster, ein langgezogener Laut voller Zorn und Enttäuschung.
    Das Bündel raste nach vorne. Der braune Sack sauste über das Wasser hinweg, noch in der Luft löste sich der Knoten. Gold regnete auf die Oberfläche herab, Geschmeide aller Art, grell und funkelnd. Wie Sternschnuppen sausten die Schmuckstücke über das Grau der Wellen, klatschten auf, versanken. Das zerfetzte Bündel fiel als letztes ins Wasser, wurde ebenso verschluckt wie sein Inhalt.
    Die Tannen erstarrten im selben Augenblick. Ein Zittern durchlief die Krone der Eiche, dann erschlafften auch ihre Äste. Der Wind heulte weiter um die Burg, über die Wälder und den Fluß, aber er vermochte weder Eiche noch Tannen so zu bewegen wie noch vor wenigen Augenblicken.
    Dankwart sackte am Ufer zusammen, sein Blick löste sich von der Oberfläche und huschte herauf zu Hagens Fenster.
    Die beiden Brüder starrten sich stumm in die Augen.
    Hinter Hagen flog mit einem Krachen die Tür auf.
     

     
    »Ist Bärbart bei dir?«
    Es war sein Vater, und er wirkte besorgt. Sein Gesicht war gerötet. Hinter ihm auf dem Gang standen zwei Männer seiner Leibgarde, die Hände an den Schwertgriffen.
    Ehe Hagen noch aus seiner Erstarrung erwachen, den Schreck überwinden konnte, gab Adalmar sich selbst die Antwort: »Nein, offenbar nicht.« Trotzdem sah er sich eingehend um, als erwartete er ernsthaft, Bärbart habe sich unter Hagens Lager versteckt.
    »War er hier?« fragte er schließlich. Er sah aus, als würde er ein Nein nicht akzeptieren, so zornig war sein Blick.
    Hagen fand allmählich zurück zu sich selbst. »Nein«, stammelte er. »Nein, er war nicht bei mir. Was ist geschehen?«
    Adalmar drängte an Hagen vorbei zum Fenster, schaute mit wildem Blick hinaus und stapfte wütend zurück zur Tür. »Bärbart ist fort. In Luft aufgelöst!«
    Hagen versuchte, seinen Schmerz über den Verlust des Goldes zu überspielen. Bärbarts Verschwinden kümmerte ihn nicht, er hatte ihn nie gemocht. »Fort? Einfach so?«
    »Vorher hat er noch mit Viggo gesprochen.«
    »Mit Viggo ?« Das war allerdings eigenartig; Bärbart und der Pfaffe hatten sich gehaßt.
    »Bärbart hat ihm gesagt, es sei an der Zeit, daß er uns verläßt. Viggo behauptet, Bärbart habe ganz offensichtlich vor etwas Angst gehabt, er sei fahrig und unbeherrscht gewesen.«
    »Ich glaube nicht, daß Bärbart Viggo gegenüber jemals beherrscht war.«
    Adalmar

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