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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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ihn, ihre liebevolle Pflege, ungeachtet all seiner Schändlichkeiten. Er war doch nur ein Kind, wäre es immer geblieben, wenn nicht… ja, wenn nicht der Geweihte gekommen wäre. Ihr tränenverschleierter Blick glitt am Turm empor, zu einem Fenster hoch oben. Daraus ragte ein riesiges Horn hervor, fast so groß wie sie selbst. Sie fragte sich, ob daraus eine Trauermelodie für den Grafen ertönte, für ihren Freund, der tief im Herzen ein so guter Mensch gewesen war. Er hätte es verdient, gewiß. Marret hob die Hände und begann, an den Erdkrumen in ihren Ohren zu zupfen. Sie wollte teilhaben an der Trauer um Ugo, an dem Lied zu seinen Ehren.
    Zwei gewaltige Pranken packten sie von hinten und rissen ihre Hände herunter, bevor sie die Pfropfen lösen konnte. Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum. Ugos Schädel entglitt ihrem Schoß und sackte zurück auf den Boden.
    Löwenzahn packte das strampelnde Mädchen und warf es sich über die Schulter. Sie kreischte und weinte, aber er hörte es nicht. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Hals und Nacken, rissen ihm die Haut auf, aber noch immer ließ er sie nicht los. Mit einem Satz sprang er vom Leichnam des wahnsinnigen Grafen fort.
    Im selben Augenblick splitterte die nahe Seilwinde aus ihrer letzten Verankerung. Mütterchen schien es, als bliebe die Zeit stehen. Unendlich langsam knickte das lodernde Holzgerüst in sich zusammen, brach dabei zur Seite weg. Stürzte genau auf Löwenzahn und seine tobende Last zu. Brennende Balkensplitter flogen in alle Richtungen, sausten über den Riesen hinweg wie sirrende Schwerter. Näher und näher kam das kippende Gerüst, vier-, fünfmal so hoch wie Löwenzahn selbst. Es war fast, als folge es dem Verlauf seines Weges, beuge sich über ihn, fiel tiefer und tiefer, schien ihn zu streifen, ließ ihn stolpern, Marret verlieren und nach vorne krachen. Kaum zwei Schritte von der Spitze der Winde entfernt schlug Löwenzahn zu Boden. Hinter ihm fauchten die Flammen zum Himmel empor, eine haushohe Feuerwand, die die Seilwinde und alles, was unter ihr begraben war, verzehrte.
    Als Löwenzahn sich schmerzerfüllt aufstemmte, war das Mädchen nicht bei ihm.
    Der Riese heulte auf und taumelte auf das Feuer zu, doch da war Mütterchen schon bei ihm und hielt ihn am Arm zurück. Er wollte sich losreißen, wollte gar um sich schlagen, doch sei Blick fiel auf Mütterchens Gesicht, und neue Klarheit durchdrang sein Denken. Ein letztes Mal schaute er in die Flammen, Tränen strömten aus seinen Augen, die so gar nicht zu seinen ungeschlachten Zügen passen wollten. Er streckte die Hand nach der Stelle aus, wo Marret von den brennenden Balken erschlagen worden war, dann wandte er sich mit einem Ruck vom Feuer ab und stolperte über die Toten mit Mütterchen zum Tor.
    Niemand hielt sie auf. Wer immer sich noch im Turm aufhielt und im Auftrag des Geweihten ins Horn gestoßen hatte, er wartete in der Sicherheit des Granitgemäuers, bis die Flammen im Hof von selbst erloschen.
    Die Freunde waren kaum ins Freie getaumelt, als Mütterchen das Gleichgewicht verlor. Ihre Beine gaben nach, sie stürzte.
    »Zu alt«, formten ihre Lippen, und sie wunderte sich, daß nicht einmal sie selbst es hörte. Sogar ihre Stimme ließ sie im Stich.
    Löwenzahn wischte sich mit einer Pranke über die Augen, dann hob er die greise Räuberin kurzerhand vom Boden auf und trug sie den Hang hinunter zum Waldrand. Mehrfach stießen sie auf Leichen der berittenen Wächter. Sie waren von Sklaven aus den Sätteln gezerrt und erschlagen worden. Die Arbeiter selbst waren allesamt verschwunden. Die meisten waren zum Fluß gelaufen und durch die Fluten zur anderen Seite geschwommen.
    Unter den vorderen Bäumen, unweit der Einmündung eines Weges nach Norden, legte Löwenzahn Mütterchen ins feuchte Gras. Er kniete neben ihr nieder und streichelte sanft ihr graues Haar. Er sagte etwas, als ihm die Erdklumpen in seinen Ohren einfielen. Eilig holte er sie hervor. Mütterchen schüttelte den Kopf, als er auch nach ihren Ohren langte; sie hatte noch Kraft genug, es selbst zu tun.
    Schließlich fragte Löwenzahn: »Wirst du wieder laufen können?«
    Mütterchen zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Ich bin vielleicht schwach, Dummkopf, aber noch lange nicht tot.«
    Er grinste unbeholfen in dem augenscheinlichen Versuch, die Trauer um Marret zu verdrängen.
    Da fiel Mütterchens Blick auf etwas hinter seiner Schulter. »Sieh dir das an!«
    Der Riese fuhr herum und wurde eines

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