Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nibelungen 04 - Das Nachtvolk

Titel: Nibelungen 04 - Das Nachtvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
Vom Netzwerk:
hätten sie tatsäc h lich im Augenblick ihres Todes etwas gesehen, das ihre Herzen zu Eis erstarren ließ.
    Der Alte hatte inzwischen sein Gebet beendet. Auf seinen krummen Stab gestützt richtete er sich auf und blickte Volker mit trüben grauen Augen an. Er reichte dem Spielmann nur bis zur Brust. Der Bauer trug einen einfachen Kittel aus grobem, hellbraunen Stoff. Sein Gesicht war verwittert wie ein alter Fels, und die Jahre hatten tiefe Furchen in sein Antlitz geschnitten. »Hat König Eurich Euch geschickt, Herr? Ist die Kunde von der letzten Nacht schon bis zu ihm gedrungen?«
    »Ich kam, um Gunbrid, der Nichte des Burgundenkönigs, meine Aufwartung zu machen. Was ist hier geschehen, Jean? Warum mußte Rollo sterben?«
    Der Greis schüttelte den Kopf. »Der junge Herr wollte nicht auf mich hören. Ich hatte ihn gewarnt. Er hat uns gezwungen, Dämme zu bauen und Kanäle auszuheben. Er wollte sein Land vergrößern und hat dabei an den Besitz der Feenkönigin g e rührt. Der Sumpf ist ihr Land. Und vor drei Tagen dann ist er zum heiligen Hain geritten. Das ist ein kleiner Wald, in dem die Menschen, die am Rande des Sumpfes leben, schon seit uralten Zeiten den älteren Göttern opfern. Wir tun dies, um Frieden mit den Feen zu wahren. Rollo hat es uns verboten, und um sein Verbot noch zu unterstreichen, hat er eine der Eichen im Hain gefällt. Ich selbst habe neben ihm gestanden und ihn angefleht, den Baum zu schonen, doch er war wie von Sinnen. Er hatte eine Reise nach Martinopolis gemacht. Dort haben ihm die Mönche viele Geschichten über ihre Heiligen und deren Wu n der erzählt. Seitdem war der junge Herr besessen von der Idee, den alten Glauben auszurotten. Ihr müßt nicht glauben, daß wir hier keine guten Christenmenschen wären, Fremder, doch wir wissen auch, daß uns die Feen und die alten Götter hier am Rand der Sümpfe näher sind als der Gottessohn, der im fernen Jerusalem gestorben ist.«
    »Und was ist mit dem Gesinde und den Dienern aus der Burg geschehen?«
    Der Alte schluckte. »Sie haben sie mit sich in die Sümpfe g e nommen … Macha hat nur die Normannen töten lassen. Seht Euch die Köpfe an, Herr. Es ist keiner der Einheimischen dabei. Nur die Fremden. Unsere Leute haben sie als Sklaven geno m men. Sie werden am Hof der Feenkönigin dienen.« Er wischte sich mit dem Ärmel seines Kittels die Nase. »Meine Enkeltoc h ter gehört auch zu den Gefangenen. Aber sicher wird es ihr dort drüben in der anderen Welt gut ergehen. Die Feen haben sie gemocht. Wißt Ihr, Herr, sie wurde mit einer Glückshaut auf dem Kopf geboren. Das geschieht nur sehr selten. Solche Ki n der werden oft von den Feen geholt. Aber es geht ihnen gut … « Jean blickte auf den Sumpf hinaus.
    »Und ihr tut nichts? Was hindert dich daran, in den Sumpf zu gehen und sie zurückzuholen?«
    »Der Sumpf gibt nichts mehr zurück, was er sich einmal g e nommen hat«, entgegnete der Alte. Seine Stimme klang hohl und tonlos. »Ihr seid nicht von hier, Herr. Ihr könnt das nicht verstehen. Wie ist Euer Name?«
    »Man nennt mich Volker von Alzey. Ich gehöre zu den Edlen des Hofes von Burgund, und ich bin gekommen, um die Nichte meines Königs zu sehen. Nichts wird mich davon abhalten! Morgen gehe ich in die Sümpfe und hole sie zurück. So wie es scheint, gehört sie ja nicht zu den Toten, obwohl sie nicht hier geboren wurde.«
    Jean nickte. »Die junge Herrin war eine gute Frau. Nicht so ungestüm wie Rollo. Sie wollte ihn davon abhalten, den Hain zu schänden. Die Baronin hatte begriffen, was es hieß, die Feen zu reizen. Sie war auch gut zu den Bauern und Fischern. Ihr werdet hier keinen finden, der schlecht von ihr spricht. Meine Enkeltochter hatte die Ehre, ihr als Kammerfrau zu dienen. Doch ich sage Euch, Herr Volker, wenn Ihr in die Sümpfe geht, dann seid Ihr des Todes.«
    Der Spielmann lachte. »Man hat mir schon oft mit dem Tod gedroht, mein Freund, doch wie du siehst, hat sich bislang noch keiner gefunden, der in der Lage war, seinen Worten auch T a ten folgen zu lassen. Ich fürchte mich vor keinem Gespenst oder was immer deine Macha auch sein mag. Und nun hilf mir, die Köpfe herunterzunehmen. Es ziemt sich nicht für Christenme n schen, eine solche Barbarei zu dulden. Wir wollen die Körper der Männer suchen und ihnen ein anständiges Begräbnis g e ben.« Mit einem Ruck zog Volker den Kopf des Barons von dem Pfahl, vor dem er stand. Im selben Augenblick erhob sich ein großer Rabe aus dem Geäst der Trauerweide. Mit

Weitere Kostenlose Bücher