Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Grün angelaufen und aus Bronze waren sie. Von einem hing ein halb verrotteter Roßschweif herab. Ein anderer Helm hatte eine Gesichtsmaske. Sie zeigte einen Kn a ben mit gelocktem Haar. Was für Krieger mochten solche He l me getragen haben? Golo hatte so etwas noch niemals gesehen! Sahen so die Rüstungen von Feen aus?
Ein leises Klirren wie von Metall ließ ihn aufschrecken. Der Baum! Mit weit ausladenden Ästen erhob er sich am Ende der Lichtung. Die beiden Ritter standen davor und betrachteten die schaurige Trophäensammlung. Es war alles genau wie in se i nem Traum. Es gab fast keinen Ast, von dem keine Waffen hi n gen. Vor dem Baum jedoch stand ein kleiner, aus Stein gema u erter Schrein. Darin lag auf einem hölzernen Gerüst ein mit goldenen Bändern eingefaßtes Horn. Volker und Gwalchmai starrten ehrfürchtig auf das kostbare Instrument.
Ein paar Herzschläge lang hoffte Golo darauf, daß die beiden es sich doch noch anders überlegen würden. Noch gab es einen Weg zurück! Wenn sie jetzt einfach umkehrten, würde das Nachtvolk sie vielleicht verschonen. Volker konnte doch nicht wirklich so dumm sein, allein ein ganzes Feenvolk herausz u fordern. Bestimmt konnte jeder einzelne der Feenritter nicht nur hervorragend fechten, sondern auch noch zaubern.
Seine Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden. Es war nicht Volker, sondern Gwalchmai, der seine Hand nach dem Horn ausstreckte. Fast im gleichen Moment, in dem er es von dem Holzgerüst nahm, erklang in der Ferne ein Donnern. Golo begann zu beten. Warum nur hatte er nicht die Kraft, diese be i den Verrückten hier alleinzulassen? Sollten sie doch ohne ihn in ihr Verderben rennen!
Der Himmel wurde immer dunkler. Von Westen, dort, wo i r gendwo das Meer liegen mußte, zogen dunkle Gewitterwolken auf. Wieder zerriß ein Donnerschlag die Stille. Eisiger Wind fegte über das Moor. Das Klirren der Schwerter und der and e ren Waffen, die im Geäst gegeneinanderschlugen, klang fast wie der Lärm einer fernen Schlacht.
Gwalchmai setzte das Horn an die Lippen. Der Krieger beugte sich leicht zurück, seine Backen blähten sich, als sei er ein Frosch. Dann erklang ein Ton, wie ihn Golo noch nie zuvor g e hört hatte, und er wünschte sich, dieses Geräusch nie wieder in seinem Leben zu hören. Der Knecht hatte schon viele Hörner gehört, doch dieses hier Heß sich mit keinem von ihnen ve r gleichen. Fast wie ein Schrei klang es über die Lichtung. Golo mußte unwillkürlich an Raben denken. Die Pferde stiegen und wieherten schrill. Dann rissen sie sich los und flohen von der Lichtung. Ganz nahe schlug ein Blitz ein und tauchte die Szene in fahles, geisterhaftes Licht.
Ein Windstoß rüttelte an den Ästen des Trophäenbaumes. E i nes der Seile, mit denen die Waffen aufgehängt waren, zerriß, und ein Schwert stürzte in die Tiefe.
»Vorsicht, Herr!«
Volker blickte nach oben. Das Schwert stürzte genau auf ihn zu. Gwalchmai verpaßte dem Spielmann einen Stoß mit der Schulter. Nur eine Handbreit neben den Rittern bohrte sich die rostige Klinge in den weichen Waldboden.
»Das ist der Fluch der Feen!« kreischte Golo. »Laßt uns hier verschwinden, oder wir sind alle des Todes. Das war die letzte Warnung. Das nächste Mal geht es uns allen ans Leben!«
Volker packte ihn beim Wams. »Sieh her!« Der Ritter zog das Schwert aus dem Boden. »Siehst du dieses morsche, alte Seil? Der Wind hat es zerreißen lassen. Das ist alles! Wir sind hier in einer alten, heidnischen Schädelstätte. Es gibt keine Feen! Sie sind nur eine Erfindung der Dichter!«
»Und was ist das dort drüben?« Golo deutete mit zitternder Hand auf einen Holzpflock, der keine fünf Schritt vom Baum entfernt stand. Er war mit einem Kopf geschmückt, von dem verrottendes Fleisch hing. Unten an dem Pfahl lehnte ein Helm, ganz ähnlich den Topfhelmen, welche die beiden Ritter bes a ßen. »Das ist nicht alt! Erzählt mir nichts, Herr! Und habt Ihr die verbrannte Burg vergessen und die aufgespießten Köpfe der Normannen?«
»Das waren Räuber, die sich den Aberglauben der Bauern zunutze machen, um ihrer gerechten Strafe zu entgehen!«
Golo schüttelte verständnislos den Kopf. »Seid Ihr denn blind für das Offensichtliche?«
»Nein! Ich lasse nur nicht zu, daß die Angst meinen Verstand regiert. Wir müssen jetzt die Pferde einfangen!«
»Ich werde hierbleiben«, sagte Gwalchmai grimmig. »Nur für den Fall, daß die Morrigan und ihre Kämpfer kommen. Sie so l len nicht denken, wir hätten uns
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