Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
lassen?«
Golo versuchte stöhnend, sich zu erheben, gab aber auf halbem Weg wieder auf und ließ sich zurücksinken. Er lag in einem roten Zelt auf einer Bettstatt aus Kissen und Pelzen. Ob dem Knappen seine Betroffenheit ernst war? Vermutlich war er nur ein Heuchler. Golo wußte nur zu gut, wie Diener übliche r weise von ihren Herren dachten.
»Hol mir lieber einen Priester«, röchelte er leise. Schlagartig wich dem Jungen alle Farbe aus dem Gesicht. »Nein, Herr … Ihr werdet doch nicht!« Der Knappe wollte schon zum Eingang des Zeltes laufen, als Golo ihn gerade noch an einem Zipfel seines Gewandes packen konnte.
»War nur ein Spaß … Vergiß es. Mir geht es … gut. Aber laß mich … jetzt in Ruhe. Ich will allein sein.«
Der Junge blickte ihn einen Moment lang verwundert an, dann gehorchte er. Stöhnend richtete sich Golo auf. Es hatte ihn nicht so schlimm erwischt, wie er gedacht hatte. Schließlich war er nicht zum ersten Mal von einem Pferd gefallen. Seine Rü s tung hatte den Sturz allerdings keineswegs angenehmer we r den lassen. Ihm war jetzt klar, daß das Leben als Ritter nichts für ihn war. Sicher hatte es Spaß gemacht, die edlen Herren von ihren Rössern zu stoßen, doch welchen Preis hatte er dafür g e zahlt! Er mußte an den Ritter im roten Waffenrock denken, den man tot vom Turnierplatz getragen hatte. Nein, so wollte er nicht enden! Auch wollte er nicht länger in die Intrige des B i schofs verwickelt sein. Das konnte nicht gutgehen, wenn er sich inmitten eines Heeres streitsüchtiger Normannen als Adliger ausgeben mußte. Irgendwann würde ihnen auffallen, daß er in Wahrheit nur ein Knecht war, und sie würden ihn in Stücke reißen.
Golo streifte den Waffenrock ab und kämpfte sich mühsam aus dem schweren Kettenhemd. Als er sich endlich entblößt hatte, betrachtete er sein Hinterteil. Durch den Sturz hatten sich dort dunkelrot die Ringe des Kettenhemdes abgemalt. Zu reiten würde in den nächsten Tagen die reine Hölle sein. Der Knappe humpelte zu der Kleidertruhe, die dicht neben dem Eingang stand. Dort suchte er einige schlichte Kleidungsstücke zusa m men, in denen man ihn für einen Pagen halten mochte. Wä h rend des Durcheinanders des Turniers war die beste Gelege n heit zu fliehen. Er würde die Mauern von Saintes schon weit hinter sich gelassen haben, bevor der Bischof überhaupt b e merkte, daß er verschwunden war. Golo überprüfte den Sitz seiner neuen Kleider und war zufrieden.
Wenn Jehan de Thenac geglaubt hatte, er ließe sich einfach so herumschubsen, dann hatte er sich geirrt. Er würde jetzt seine Pferde holen und Aquitanien auf immer den Rücken kehren. Wenn er abwechselnd auf den beiden mächtigen Streitrossen ritt, dann würde er jedem Verfolger mit Leichtigkeit entko m men. Ein Leben lang zu lügen und auf die Gnade dieses tyra n nischen Bischofs angewiesen zu sein, das war nichts für ihn! Er dachte wieder an Troyes und daran, wie er schon im nächsten Jahr eine Handvoll Knechte haben würde, die für ihn die Drecksarbeit auf seinem Gutshof erledigten. So wollte er sein Leben fristen!
Vorsichtig schob Golo die Plane am Eingang des Zeltes ein wenig zur Seite und spähte nach draußen. Es mußte später Nachmittag sein. Er hatte offenbar für eine ganze Weile das Bewußtsein verloren. Das Leben im Lager ging seinen gewoh n ten Gang. Knappen eilten im Auftrag ihrer Herren umher. Ein Stallbursche striegelte ein Pferd. Hier und dort lungerten ein paar Waffenknechte herum. Entschlossen trat Golo vor das Zelt. Er hatte seine kurzen Haare unter einer Kappe versteckt und humpelte, so schnell es ihm seine geschundenen Knochen e r laubten, zu den Pferdekoppeln. Nur vor dem Küchenzelt des Bischofs machte er kurz Halt, um sich ein frisches Brot und ein Stück Käse einzustecken .
Lanzenbrecher war inzwischen längst abgesattelt worden, und ein Knecht hatte ihm einen Hafersack umgehängt. Neben dem Schimmel waren das Schlachtroß Gwalchmais und die a n deren Pferde angepflockt. Sein Vermögen wartete darauf, daß er es wieder in Besitz nahm! Golo wollte schon zu dem Pferd e knecht herübergehen, als zwei Soldaten in den Waffenröcken des Bischofs erschienen. Die Krieger gingen geradewegs zu den Pferden. Sie tauschten ein paar Worte mit dem Knecht, der d a raufhin nickte.
Was zum Henker mochte dort vor sich gehen? Golo hatte sich hinter ein Zelt zurückgezogen und beobachtete die drei. Sollte der Bischof etwa schon erfahren haben, daß er versuchte, aus dem Lager zu
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