Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
an.
Golo straffte sich und erwiderte den Blick. Dies war der letzte Weg, den er in seinem Leben machen würde. Er würde sich dabei nicht wie ein Feigling verhalten! »Gehen wir!« Seine Stimme klang nicht ganz so fest, wie er gehofft hatte.
Draußen vor dem Zelt schlossen sich ihnen sofort wieder die beiden Waffenknechte an. Für einen Beobachter, der nicht wu ß te, was geschah, mochte es so aussehen, als sei Golo eine b e sonders wichtige Persönlichkeit, die von einer Ehrengarde e s kortiert wurde.
Schnell hatten sie den Turnierplatz hinter sich gelassen. Es war später Nachmittag. Der Tag war ungewöhnlich heiß gew e sen. Am Himmel gab es kaum Wolken. Der Sommer kündigte sich an. Die ausladenden Äste der hohen Buchen, die den schmalen Weg durch den Wald flankierten, spendeten ang e nehmen Schatten. Gierig sog Golo die würzige Waldluft ein und blickte den kleinen Vögeln nach, die durch das dichte Laubdach segelten. Ein Stück vor ihnen erhob sich eine Elster keckernd vom Waldweg. Warum hatte er nicht in seinem Zelt bleiben können? Hätte er diesen idiotischen Fluchtversuch nicht gewagt, hätte der Bischof sicher noch eine Zeitlang sein Spiel mit ihm getrieben. Golo seufzte. Ihm war ein wenig schwind e lig, und sein Kopf brummte, als suchten Hunderte wütender Bienen nach einem Weg aus seinem Schädel heraus.
»Ist Euch nicht wohl, Herr?« Der Diener war stehengeblieben und musterte ihn besorgt.
»Das muß wohl der Sturz sein … Ich glaube, ich habe mir ziemlich den Kopf angeschlagen.«
Der Mann nickte. »In der Kapelle ist es kühl. Das wird Euch sicher guttun. Ihr sitzt fest im Sattel. Beinahe hättet Ihr es g e schafft, den Herren Berengar von Broceliande in den Staub zu schicken.«
Was nutzte ihm dieser zweifelhafte Ruhm, dachte Golo. Mo r gen schon würde niemand mehr davon sprechen. Der Knecht taumelte ein wenig. Mit einem raschen Schritt war der Diener an seiner Seite und stützte ihn. »Es ist nicht mehr weit.« Er gab den beiden Waffenknechten einen Wink, und sie nahmen Golo in ihre Mitte.
Dem Knecht war hundeelend. Er hatte keine Kraft mehr. Die Bäume schienen um ihn herum zu wirbeln …
Halb benommen merkte er, wie er durch ein Portal gezerrt wurde. Es war hier dunkler und kühler.
»Ah, da erscheint ja endlich auch der ehrenwerte Herr von Zeilichtheim!« Jehans Gesicht erschien vor ihm. Der Bischof trug liturgische Gewänder und war auf das Prächtigste herau s geputzt. Flüchtig konnte Golo ein paar andere Gestalten hinter dem hohen Herren erkennen.
»Ihr habt Euch heute auf dem Turnier hervorgetan, mein li e ber Freund. Mit dem Schwert mögt Ihr nicht der Beste sein, doch habt Ihr alle überzeugt, daß Ihr es versteht, mit der Lanze Hervorragendes zu leisten. Der Herr Berengar kam nach dem Gestech zu mir und erklärte, er sei froh, daß er nicht zu einem dritten Durchgang gegen Euch antreten mußte. Für diese he r ausragende Leistung habt Ihr Euch die Sporen der Ritterschaft verdient.« Der Bischof beugte sich ein wenig tiefer und flüsterte nun leise. »Wenn du erst einmal in aller Öffentlichkeit zum Ri t ter geschlagen bist, wird niemand mehr deinen Stand anzwe i feln können. Die Zeremonie wird morgen im alten Römerthe a ter stattfinden, und die ganze Armee wird zugegen sein, um deiner Schwertleite beizuwohnen. Danach wirst du noch ei n mal erzählen, auf welch heimtückische Weise diese Bastarde aus den Sümpfen deinen Freund Volker ermordet haben. Ist das klar?«
»Mir ist schlecht … « murmelte Golo.
»Reiß dich zusammen! Mit dir werden noch zwei andere Edle in den Ritterstand erhoben. Zieh dich jetzt aus. Ihr werdet in den Fluß steigen und baden, um geläutert zu sein, wenn ihr morgen zum Ritter werdet. Nach dem Bad sollt ihr in frische Gewänder aus neuen Linnen gehüllt werden und über Nacht in dieser Kapelle wachen.«
»Ich kann nicht … «
Der Bischof erhob sich. Er sprach nun wieder so laut, daß ihn alle in der Kapelle verstehen konnten. »Mich dünkt, der Herr von Zeilichtheim hat sich noch nicht ganz von seinem Sturz erholt. Helft ihm, seine Kleider abzulegen!«
Volker kam es so vor, als habe er schon eine Ewigkeit zwischen den Gebeinen der toten Helden des Feenvolkes gelegen. Zeit genug jedenfalls, um von immer quälenderen Gedanken hei m gesucht zu werden. Was würde geschehen, wenn er einen Fe h ler machte? Würde Neman wirklich zusehen, wie man ihn e r mordete? Er hatte sein Schwert. Mit ein paar Priesterinnen müßte er doch fertigwerden … Er
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