Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
weißes G e wand und einen roten Umhang, der an der Schulter von einer goldenen Schlangenfibel zusammengehalten wurde. Der Spielmann hatte ihn schon mehrmals in der Burg gesehen. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von Priestern, die den Dien e rinnen der Macha untergeordnet zu sein schienen.
Fieberhaft überlegte Volker, wie er dem Alten erklären kon n te, was er an der Mauer gemacht hatte, ohne dabei preiszug e ben, daß er heimlich in das Heiligtum eingedrungen war.
»Ich … ich war an der Mauer und hörte von oben seltsame G e räusche. Wie das Schnauben eines Tieres. Ich dachte, die Prie s terinnen seien vielleicht … «
Der Priester schnitt ihm mit einer ärgerlichen Geste das Wort ab. »Ich glaube nicht, daß du der Sänger bist, von dem unsere Legenden kunden, und die Art, wie du sprichst, deutet darauf hin, daß du aus einem der Königreiche aus dem Osten kommst. Glaube nicht, daß ich nicht wüßte, was in der Welt geschieht. Ich habe mit den neuen Dienern gesprochen, und manchmal verlasse ich auch die Sümpfe … Ich weiß, mit welchem Feuere i fer die Diener des neuen Gottes die alten Heiligtümer zerstören. Oft haben sie sogar die Frechheit, ihre Kirchen auf den Ruinen der alten Tempel zu errichten, obwohl sie gar nicht mehr wi s sen, warum diese Orte ausgesucht worden sind und welche Kräfte der Kundige dort zu wecken vermag. Doch lassen wir das … Ich möchte von dir wissen, was du gesehen hast!«
Der Spielmann hatte den Eindruck, daß der Alte genau wu ß te, was sich oben im Heiligtum ereignet hatte. Wahrscheinlich wollte der Priester ihn auf die Probe stellen, um zu sehen, ob er ihn belügen würde. Oder täuschte er sich in dem Kerl? Volker musterte den Alten, doch nichts deutete darauf hin, was der Priester dachte. Ruhig erwiderte er den Blick des Spielmanns. Nun gut, er würde ihm erzählen, was er gesehen hatte!
Als Volker seine Geschichte beendet hatte, schüttelte der Alte den Kopf. »Es war kein Zauber, den du beobachtet hast. Es ist das wahre Wesen der Morrigan. Sie benötigt keine Magie, um zu Macha zu werden. Sie trägt die Rabengöttin in sich.«
Der Spielmann seufzte. Der Alte hatte seine Sinne nicht recht beisammen. Vielleicht hätte er ihn doch belügen sollen. »Ich rede nicht von der Morrigan. Neman hat getanzt. Sie ist durch böse Magie verzaubert worden. Ich glaube, es war der Mantel Machas, der sie behext hat. Sie verwandelte sich erst, als ihr der Mantel mit den Rabenfedern gebracht wurde.«
Der Priester lächelte dünn. »Ich weiß. Du mußt es mir nicht noch einmal erzählen. Neman ist die Morrigan. Morrigan ist nicht nur ein Name. Es ist der Titel, den die Hohepriesterin führt. So wie die Christen dort draußen ihren obersten Priester Papst nennen. Die Morrigan vereint die drei Göttinnen in sich. Sie ist Macha, Babd und Neman. Man kann auch anders herum sagen, die drei Göttinnen seien in Wirklichkeit eins, die Morr i gan.«
Volker starrte den Alten an. Seine Worte waren ihm ein Rä t sel. »Woher weißt du das? Ist es dir nicht genauso wie allen anderen Männern verboten, den Ritualen der Priesterinnen be i zuwohnen? Und wie kann eine Frau in drei zerfallen? Ich möchte dich nicht beleidigen, alter Mann, doch ich kann in de i nen Worten keinen Sinn entdecken. Macha will den Kriegsrat zusammenrufen. Ich muß jetzt gehen.«
Der Spielmann wollte gehen, doch der Alte griff nach seinem Arm. Für einen Mann mit weißem Haar hatte er noch erstau n lich viel Kraft. »Bleib! Niemand geht, bevor Ambiorix seine R e de beendet hat. Ich bin der Barde von Tirfo Thuinn. Ich kenne die Geschichte meines Volkes vom Anbeginn der Zeiten bis zum heutigen Tag, und es ist meine Aufgabe, sie lebendig zu erhalten. Fast alle Geheimnisse dieses Landes sind in meiner Erinnerung lebendig. Zwanzig Sommer hat mein Lehrer mich unterrichtet, bis ich jede dieser Geschichten auswendig dahe r sagen konnte, ohne auch nur ein Wort der Überlieferung zu vergessen oder zu verändern. Du gehörst nicht zu uns, deshalb kann ich dir dein schlechtes Benehmen dieses Mal noch nac h sehen. Doch merke dir, wenn der Barde spricht, schweigt selbst die Morrigan. Sogar wenn sie anderer Meinung ist, wartet sie, bis er seine Rede beendet hat, um ihm dann zu widersprechen.«
»Dann sag, was du mir zu sagen hast!« Volker hatte Mühe, seinen Zorn zu unterdrücken. Es gab nun Wichtigeres zu tun, als diesem verrückten Kerl zuzuhören! Wenn er nicht an der Versammlung des Kriegsrates teilnahm, würde Macha besti m
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