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Nibelungen 04 - Das Nachtvolk

Titel: Nibelungen 04 - Das Nachtvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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men, was geschehen würde, und er konnte sich nicht vorstellen, daß die Rabengöttin wußte, wie man einem Ritterheer zu b e gegnen hatte.
    »Ich sehe dir an, daß du mir nicht glaubst, daß die Morrigan die drei Göttinnen in sich vereint. Dabei trägst auch du zwei einander widerstrebende Seelen in deiner Brust. Du bist ebe n sosehr ein Sänger wie ein Krieger.«
    »Ich sehe nicht, was du mir damit sagen willst«, entgegnete Volker gereizt. »Es ist kein Widerspruch in dem, was ich bin. Beides ist ein Teil von mir, so wie eine Münze zwei verschied e ne Seiten hat und trotzdem eins ist. Außerdem verändere ich nicht mein Gesicht, wenn man mir einen schwarzen Mantel über meine Schultern legt.«
    »Du magst mir erzählen, daß du eins mit dir bist, Sänger, doch im Grunde weißt auch du, daß dies nicht stimmt. Bist du nie im Zweifel mit dir? Fragst du dich niemals, welches der bessere Weg ist? Wenn du das Haus eines Adligen besuchst, weißt du, daß man dort sowohl den Barden als auch den Kri e ger empfangen wird. Doch man wird sie unterschiedlich b e handeln. Liebt der Herr des Hauses Lieder und Geschichten, so wird der Barde der König des Abends sein, wohingegen man den Krieger nur höflich aufnimmt, weil es die Gesetze der Gas t freundschaft verlangen. Doch was ist, wenn der fremde Herr Musik nicht zu schätzen weiß? Dann wird der Barde am Her d feuer beim Gesinde sitzen, wohingegen man einem Krieger vielleicht Respekt gezollt hätte und den Ehrenplatz an der rec h ten Seite des Hausherren eingeräumt hätte. Du mußt dich also entscheiden, wer du sein willst, wenn du in ein fremdes Haus kommst. Als Krieger wirst du dich vollkommen anders bene h men, ja, du wirst sogar anders sprechen als ein Barde. Auf g e wisse Weise haftet dir jedoch ein Makel an. So sehr du dich auch in die Rolle des Barden begibst, wirst du doch immer wi s sen, daß du auch als Krieger hättest kommen können. Umg e kehrt ist es natürlich genauso. Die Morrigan ist anders. Sie ist das Gefäß der drei Göttinnen. Wenn Macha in sie einfährt, dann ist sie nur noch Macha. Sie hat dann die Erinnerung an alles andere verloren, und deshalb verändern sich sogar ihre Gesichtszüge und ihr Stimme. Das gleiche gilt für Babd und Neman. Nur in den Augenblicken, in denen sich die Morrigan keiner der drei Göttinnen hingegeben hat, ist sie unvollko m men, denn dann kennt auch sie den Zweifel. Dann vermag sie sich zu erinnern, wer Gwen war … «
    Volker seufzte. Wenn der Alte tatsächlich ein Barde war, dann hatte er einen verdammt üblen Lehrmeister gehabt. Seine Art, Geschichten zu erzählen, war ebenso verwirrend wie langa t mig. »Wer zum Henker ist Gwen?«
    »Meine Tochter. Die alte Morrigan hat sie unter den Mädchen der Stadt auserwählt, um ihre Nachfolgerin zu werden. Lange Jahre ist sie von den Priesterinnen auf dieses Amt vorbereitet worden. Sie mußte lernen, sich selbst zu vergessen, um zum Gefäß für die Göttinnen werden zu können. Man hat ihr schw e re Prüfungen auferlegt und ihr Zaubertränke gegeben, die sie verändert haben. Das alles diente dazu, die Gwen, die sie einst war, in ihr zu töten. Als Kind habe ich sie einmal auf eine me i ner Reisen, die mich auf die andere Seite des Nebels geführt hat, mitgenommen. Wir waren in Niort, und dort haben wir in einer Schenke einen Märchenerzähler getroffen. Die ganze Nacht lang hat die kleine Gwen ihm zugehört. Sie konnte gar nicht genug bekommen von seinen Geschichten über Prinze s sinnen, ferne Königreiche, Drachen und Prinzen. Ich habe den Märchenerzähler reichlich entlohnt, als er am nächsten Morgen weitergezogen ist. Nie zuvor und nie wieder danach habe ich meine Tochter so glücklich gesehen … «
    Der alte Mann kämpfte mit den Tränen. Seine Lippen bebten, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis er sich wieder g e faßt hatte. »Meine Gwen ist jetzt schon viele Jahre tot … «
    »Aber sie ist doch die Morrigan. Wenn die Göttinnen nicht in ihr sind, dann muß sie sich doch an dich erinnern und an ihre Kindheit.«
    »Nein, Sänger.« Der Priester schniefte leise und preßte die Lippen zusammen. »Damit sie vollkommen sein konnte, hat ihr die alte Hohepriesterin alles genommen. Gwen ist tot … Es ist eine große Ehre, wenn ein Mädchen auserwählt wird, zur Mo r rigan zu werden. Verstehe mich nicht falsch … Es war schon immer so, daß es eine Hohepriesterin gegeben hat. Aber die alte Morrigan hat ihr Werk an meiner Tochter besonders gründlich verrichtet.

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