Nibelungen 04 - Das Nachtvolk
Marschen kommen. Doch bislang hatten sie von ihnen noch keine Nachricht erhalten.
Ein leichter Ostwind trieb den Dampf, der aus den heißen Que l len aufstieg, über die große Insel und hüllte Galis in dichten Nebel. Seit Tagen hatte Volker Neman nicht mehr gesehen. Nur die kriegerische Macha hatte das Heiligtum über der Burg ve r lassen, um mit ihm und den Anführern unter den Kriegern der Stadt zu sprechen. Am Morgen war ein Späher mit beunruh i genden Nachrichten aus den Sümpfen gekommen. Angeblich marschierte ein großes Heer über die Knüppeldämme, und es schien, als sei das Ziel dieser Ritter die verborgene Stadt.
Volker blickte zu dem Heiligtum. Es lag auf dem nördlichsten Ausläufer des Hügels. Der Kamm hatte dort einen leichten H ö cker, und auf dessen Spitze lag der ummauerte Kultplatz. Wenn man nicht den schmalen Weg nahm, der dort hinauffüh r te, mußte man ein paar Schritt die Böschung erklimmen und dann die Mauer aus groben, unbehauenen Steinen hinaufkle t tern. Ein letztes Mal musterte der Spielmann den Platz inmitten der Festungsanlage, doch im Nebel war niemand zu sehen. Dann schlich er zur Böschung. Er hatte nun lange genug auf Neman gewartet. Er würde herausfinden, wo die Priesterin steckte. Vielleicht hatte Macha sie beseitigt, um an Einfluß zu gewinnen. Die Rabenpriesterin brannte gewiß darauf, gegen die Ritter dort draußen auf dem Knüppeldämmen in die Schlacht zu ziehen.
An der Böschung sah er sich erneut um. Für einen Moment glaubte er, ein verdächtiges Geräusch im Nebel gehört zu h a ben. Ganz so wie eine Ledersohle, die über einen vorstehenden Stein des Pflasters geschrammt war. Doch jetzt war alles still. Vielleicht war es nur ein Mann, der den Platz überquert hatte, um einen der Wachtposten am Tor abzulösen. Volker wartete noch einen Augenblick, dann begann er die steile, grasbewac h sene Böschung hinaufzuklettern. Durch den Nebel war das Gras naß und rutschig geworden. Es schien dem Spielmann eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich den Fuß der Mauer e r reichte. Oben aus dem Heiligtum erklangen Trommelschlag und Flötenspiel. Irgend etwas ging dort vor sich. Doch das war nur gut so! Die Priesterinnen waren jetzt abgelenkt, und er ha t te es leichter einzudringen. Wachen brauchte er nicht zu b e fürchten. Dort oben wurden während der Zeremonien, welche die Morrigan abhielt, keine Männer geduldet.
Die Mauer zu erklettern war kaum schwerer, als die Böschung hinaufzukommen. Man hatte keinen Mörtel benutzt, sondern die Steine einfach nur aufeinandergeschichtet. Hier und dort ragten die Enden von Balken aus dem Mauerwerk und boten gute Griffe. Schließlich erreichte der Spielmann die Brüstung und versteckte sich auf dem Wehrgang. Sein Schwert hatte er in seinem Gemach zurückgelassen. Die Scheide wäre nur kla p pernd gegen das Mauerwerk geschlagen und hätte ihn verr a ten. Als einzige Waffe trug er einen schmalen Dolch bei sich.
Geduckt schlich er an der Brüstung entlang, bis er eine Rampe erreichte, die zum Innenhof hinabführte. Die Musik klang mit t lerweile lauter und bedrohlicher. Wartend verharrte der Spie l mann an der Rampe. Der Nebel war so dicht, daß man keine zehn Schritt weit sehen konnte. Die doppelt mannshohen Ste i ne, die dort unten standen, erschienen nur noch als ve r schwommene, graue Schemen. Es schien sich etwas zwischen ihnen zu bewegen.
Volker wartete noch einen Augenblick, bis er meinte, daß niemand in seine Richtung kam. Dann ging er die Rampe hi n unter und lief über den Hof bis hin zum Steinkreis. Mit klo p fendem Herzen preßte er sich gegen den kalten Fels und spähte um die Ecke. Innerhalb des Steinkreises waren Feuerbecken aufgestellt worden, und der Duft schwelender Kräuter zog mit dem Nebel. Die flachen Metallbecken ruhten auf hüfthohen, dreibeinigen Ständern. Hinter jeder Feuerstelle war eine Prie s terin plaziert, die in unregelmäßigen Abständen Räucherwerk auf die glühenden Kohlen warf. Die Frauen trugen lange, dun k le Gewänder und weite graue Umhänge, die sie fast mit Rauch und Nebel verschmelzen ließen.
Wenn er sehen wollte, was im inneren Steinkreis vor sich ging, würde er sich weiter nach vorne wagen müssen. Zögernd nagte der Ritter an seiner Unterlippe. Er war hierher geko m men, um Neman zu sehen. Angeblich würde sie während des Rituals tanzen. Wenn er jetzt wieder zurückging, hätte er g e nausogut unten in der Festung bleiben können! Der Nebel würde ihn schon schützen. Noch einmal
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