Nibelungen 07 - Das Zauberband
Brunhilds Kinderlachen neben sich gehört. Er hatte vor Zeiten geschworen, ihr stets ein Freund zu sein. Ohne weiter darüber nachzudenken, was er tat, war er auf den Hengst gestiegen und zum See hinuntergaloppiert. Er wollte nicht, daß Brunhild starb.
Raban steckte die Flöte wieder in seine Tasche zurück. Er bereute nicht, Brunhild gerettet zu haben. Im Gegenteil, es rührte sein Herz, sie wiederzusehen, mehr als er es erwartet hatte. Sie war ein Teil seiner Vergangenheit. Aber die schwarze Priesterin war vielleicht seine Zukunft. Von ihr allein konnte er lernen, was er wissen wollte. Doch die Frau war verschwunden.
Langsam stand er auf und versuchte, sich in die schwarze Priesterin hineinzuversetzen. Er drehte sich einmal um sich selbst. In welche Richtung mochte sie wohl davongeritten sein, fragte er sich.
Arma war tot! Brunhild konnte es sich immer noch nicht vorstellen. Die blonde, starke Kriegerin hatte sie aufgezogen, sie war ihr Lehrerin, Freundin und Mutter gewesen. Brunhild erinnerte sich an die unsagbare Traurigkeit, die sie am Morgen überfallen hatte, als sie alleine in ihrer Höhle, die sie gewöhnlich mit Arma teilte, erwacht war. Doch da hatte sie dieses Gefühl auf die bevorstehende Weihe und ihren Abschied vom Zaubergarten geschoben. Sie schaute sich in dem steinernen Garten um. Gestern war hier alles anders gewesen. Unwillkürlich fielen ihr Ramees Worte wieder ein. »Jede Hüterin des Feuers muß sich der göttlichen Prüfung stellen, und diese Aufgabe ist niemals leicht.«
Sollte das ihre Prüfung sein? Tote Freunde in einem versteinerten Garten der Göttin?
Während sie wieder auf das heilige Wasser des Sees schaute und sah, wie Raban langsam vom Seeufer fortging, erinnerte sie sich an den Tag, als Arma damit begonnen hatte, ihr das Schwertkämpfen beizubringen. Sie war damals fast noch ein Kind gewesen, da hatte die Kriegerin eines Tages ein Schwert vor sie hin in das Gras gelegt und sie aufgefordert, es aufzuheben und damit das Kämpfen zu erlernen.
Brunhild entsann sich, daß sie die große, schwere Waffe kaum hatte heben können. Schmollend hatte sie sich nach einigen vergeblichen Versuchen neben die Klinge ins Gras gesetzt und geschworen, niemals auch nur einen einzigen Schwertstreich auszuführen. In jenem Augenblick hatte sie beschlossen, Gärtnerin zu werden und ihr Leben damit zu verbringen, Blumen für die Göttin zu pflanzen. Dann war Arma zu ihr gekommen. »Steh auf, Brunhild, der Weg zu deinem Ziel ist weit, also beginne jetzt! Jeder Tag ist kostbar, verschwende ihn nicht mit dunklen Gefühlen.« Anschließend hatte sie ihr das Schwert in die Hand gegeben und sie gelehrt, es zu führen.
Brunhild seufzte. Vielleicht hatte Raban unrecht, und dieser finstere Fluch der Versteinerung ließ sich wieder aufheben. Sie schaute zum Wasserfall. Die Sonne war hinter den dichten Wolken am Himmel immer noch nicht richtig zu sehen, dennoch mußte es auf Mittag zugehen. Mit festen Schritten lief Brunhild am See entlang zum jenseitigen Ufer, wo der Überfall begonnen hatte. Vielleicht gab es dort Hinweise und Spuren, die ihr weiterhalfen.
Während sie den schmalen Pfad entlangging, passierte sie immer wieder versteinerte Gestalten. Priesterinnen und Krieger, die regungslos im Schwertkampf verharrten, standen nahe des Wassers und schienen darauf zu warten, den nächsten Schlag ausführen zu können. Mit einem großen Schritt stieg die junge Kriegerin über einen am Boden liegenden Mann hinweg und ging weiter bis zu der Stelle, an der sie Inmee mit ihrer weißen Stute zuletzt stehen gesehen hatte. Brunhild schaute sich um. Von hier aus hatte man einen genauen Blick auf den Mondscheintempel, der auf dem Hügel zwischen den Bäumen am anderen Seeufer lag. Sonst gab es nichts an diesem Ort. Enttäuscht wandte die junge Kriegerin den Blick wieder ab. Der felsig graue Tempelhügel mit den erstarrten Bäumen stimmte sie nur noch trauriger. Dieser Garten war zu einer Wüste geworden.
Insgeheim hatte sie gehofft, ein Zeichen zu entdecken, das ihr einen Weg weisen würde. Eine Spur, die sie zu Inmee führen konnte, aber so lange sie auch suchte, sie konnte nichts finden!
»Dieses Weib versteht sich aufs Kämpfen«, flüsterte sie und wischte ein wenig mit den Fingerspitzen über den Boden. Die Pferdeabdrücke auf dem staubigen Geröllboden waren nicht mehr auszumachen.
Ein Stück weiter fort vom Ufer begann der Wald, durch den Inmee heruntergaloppiert war. Brunhild folgte dem schmalen
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