Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
Falle sprang, würde er sofort auf ihn einstechen. Ja, er würde ihm die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien konnte! Es ging nicht anders! Der erste Augenblick war entscheidend. Der a n dere würde sicher nicht damit rechnen, hier unten angegriffen zu werden. Er durfte nicht zögern, dachte Golo. Nur nicht a b warten und dem anderen in die Augen sehen. Er durfte dem Franken keine Gelegenheit geben, über ihn herzufallen.
Der junge Ritter hob den Kopf aus dem Schnee, um besser lauschen zu können. Von den Wällen des Bergdorfes erklang Schlachtlärm. Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Das dumpfe Geräusch von Waffen, die auf hölzerne Schilde schlugen. Hin und wieder auch das helle Klingen von Stahl, wenn zwei Schwerter aufeinandertrafen. Plötzlich ertönte ein Hornsignal. Noch waren die Wälle des Dorfes gut bemannt, und der Mut der Verteidiger war ungebrochen. Die Franken mußten sich zurückziehen.
Golo ließ sich wieder in den Schnee sinken. Gespannt bis zum Äußersten lauschte er auf die Geräusche in der Finsternis. Das Klappern, das Knirschen und Schleichen kam näher. Ein ei n zelner Schrei gellte durch die Nacht. Die Bogenschützen des Ebers!
Unmittelbar neben der Grube hasteten Schritte vorbei. Leises Fluchen und Keuchen war zu hören. Die ersten waren vorbei! Ein paar Herzschläge später kamen noch mehr. Dann herrschte wieder Ruhe. Gerade als Golo sein Gesicht aus dem Schnee hob, polterte es. Ein Schatten rutschte in die Grube, strauchelte und fiel auf den jungen Ritter.
Golos Hand verkrampfte sich um den Dolch. Ohne zu de n ken, in blinder Panik, stieß er zu. Er spürte, wie der Körper beim zweiten Stich weich wurde und in sich zusammensackte. Seine Hand war klebrig und naß. Als er wieder zu sich kam, starrte er auf seine Hand. Das Blut sah in der Finsternis dunkel aus, fast schwarz.
Der andere röchelte. Noch immer raste dem Burgunden das Blut durch die Adern. Es dröhnte wie ferner Donner in seinen Ohren. Sein Atem ging keuchend. Das Röcheln des Franken erschien dem Ritter unnatürlich laut. Er mußte ihm den Mund zuhalten, Schnee hineinstopfen, damit die anderen ihn nicht hörten. Der Kerl sollte still sein! Voller Haß starrte er in das blasse Gesicht. Warum mußte sich der Idiot ausgerechnet in diese Grube werfen? Hätte er nicht ein paar Schritt weiter rechts den Hang hinunterlaufen können?
Müde robbte Golo in die entgegengesetzte Ecke der Fallgrube. Er wollte den Franken nicht sehen. Den Dolch schob er in se i nen Gürtel zurück. Wenn er sich rührt, werde ich ihn töten, dachte der Ritter. Aber er wird nichts mehr tun, das hört man schon an seinem Röcheln. Dieses Röcheln … Der Burgunde blickte zum Rand der Grube. Er mußte hier heraus! Der Hi m mel war schon ein wenig heller geworden. Nicht mehr lange, und es war zu spät. Sobald die Bogenschützen besser sehen konnten, war es Wahnsinn, sich auf der Hügelflanke zu zeigen. In seiner schneeverkrusteten Felljacke könnte man ihn auch für einen Sachsenkrieger halten. Das fehlte gerade noch, daß seine eigenen Kameraden auf ihn zielten. Doch selbst wenn sie ihn erkannten und nicht beschossen, war er auch noch immer tö d lich nah am Lager der Franken. Sie würden gewiß auf alles schießen, was sich am Berghang bewegte. Ob er es noch wagen konnte, über den Rand der Grube zu klettern, oder war es schon zu spät? Gerade nach einem Gefecht waren die Wachen auf beiden Seiten besonders aufmerksam. Wie lange er die Kä l te wohl überleben würde, wenn er hier unten in diesem Loch hockte. Es wäre nur für ein paar Stunden hell.
Golos starrte zu dem Toten, der als erster in die Grube g e stürzt war. Seine Augen waren weit offen und nach oben ve r dreht, so, als habe er bei seinem letzten Atemzug etwas am Himmel gesehen. Zu der dunklen Gestalt am anderen Ende des Loches wagte er nicht hinüberzusehen. Rastlos wanderte sein Blick und blieb schließlich an seiner blutigen Hand hängen. Ihm wurde übel. Er streifte die Hand über den Schnee. Als das getrocknete Blut abgewischt war, war sie ganz taub vor Kälte geworden. Wenn es nur schon wieder finster wäre!
Es war heller, grauer Tag. Das Röcheln auf der anderen Seite der Grube tönte fort. Golo steckte sich die Finger in die Ohren, um es nicht mitanhören zu müssen. Doch dann bekam er Angst, daß die Franken vielleicht einen zweiten Angriff wagen würden. Wenn er sie nicht kommen hörte, würde er sich nicht rechtzeitig totstellen können.
Die Gestalt gegenüber
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