Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
Surrend zogen die Pfeile kaum mehr als zwei oder drei Handbreit über ihre Köpfe hinweg.
Golo dachte an die Warnungen des Ebers. Sie mußten genau in den Spuren bleiben. Wenn er den vorgegebenen Weg verließ, würde er in eine der Fallgruben stürzen, mit denen die Hüge l flanke gespickt war. Der Burgunde blickte zurück. Die Franken hatten sich gesammelt und folgten ihnen. Vor den hellen Flammen konnte er nur unförmige Schatten erkennen. Die gr o ßen Rundschilde ließen die Schemen so aussehen, als hätten sie riesige aufgedunsene Leiber, ganz wie Kreaturen, die aus den Schlünden der Hölle emporgestiegen waren.
Die Schritte des jungen Ritters wurden schwerer. Erschrocken blickte er zu Boden. Er hätte nicht zurücksehen dürfen! Die Spur! Er hatte sie verlassen. Ein Stück vor ihm rannte noch ein Mann, der den Weg im Schnee verloren hatte. Unentschlossen blickte Golo den Hang hinab. Er müßte nur ein paar Schritt z u rück, doch das hieße, den Franken entgegenzulaufen oder, schlimmer noch, von den eigenen Bogenschützen für einen Feind gehalten zu werden.
Golo lief quer zum Hang, bis er die Spur des anderen erreic h te. Wieder sah er über seine Schulter, doch diesmal blieb er e i nen Augenblick lang stehen. Die Franken waren schon ve r dammt nahe. Zwanzig Schritt noch, und sie hätten ihn erreicht. Auch ihre Bogenschützen waren inzwischen alarmiert. Pfeile flogen den Hügel hinauf. Es war vielleicht ganz gut, nicht mit dem großen Pulk von Kriegern zu laufen. Ein Schrei riß Golo aus seinen Gedanken. Der Mann vor ihm war verschwunden. Ein dunkles Loch klaffte im Schnee. Verdammt! Jetzt war er auf sich allein gestellt.
Die Schreie hinter ihm kamen immer näher. Wenn er zu dem Wallabschnitt wollte, an dem die Leitern lehnten, auf denen sie hochsteigen sollten, würde er nur ein paar Herzschläge vor Ri c chars Kriegern ankommen. Immer vorausgesetzt, er geriet nicht in eine der Fallgruben und die Männer auf den Wällen zogen nicht vorzeitig die Leiter hoch.
Ihm wurde klar, daß er es nicht mehr schaffen würde. Das dunkle Loch im Schnee zog seine Blicke an. Wie ein Grab klaffte es am Hügelhang. Es würde ihm Deckung geben. Golo folgte weiter der Spur des Mannes, den die Erde verschlungen hatte. Zwei Schritt vor dem Loch warf er sich in den Schnee und kroch vorsichtig auf den Rand zu. Er spürte, wie etwas unter seinen Händen nachgab. Erschrocken zuckte er zurück. Schnee glitt in die Grube hinab. Die letzten Reste des Geflechts aus dünnen Weidenruten, unter dem die Falle verborgen gewesen war, rutschten hinab. Undeutlich konnte der junge Ritter die Pfähle am Boden erkennen. Die Schreie hinter ihm waren jetzt ganz nahe.
Vorsichtig ließ er sich über den Rand gleiten. Auf dem Schnee fand er keinen Halt. Mit einem Rutsch war er unten und stieß seitlich an einen der zugespitzten Pfähle. Der andere hatte w e niger Glück gehabt. Zwei abgebrochene Holzpflöcke ragten aus seiner Brust. Er mußte mitten über der Grube gewesen sein, als die Weidenruten unter seinem Gewicht nachgegeben hatten.
Brandpfeile zogen hoch über ihm durch den nächtlichen Himmel. Golo fluchte. Die Franken schienen sich zu einem massiven Gegenangriff entschlossen zu haben.
Der Burgunde mustert die Fallgrube. Sein Kamerad hatte Pech gehabt. Nur in der Mitte standen angespitzte Pflöcke. Wer sich von den Rändern hineingleiten ließ, so, wie er es getan ha t te, war nicht in Gefahr. Die Grube war groß. Fast zwei Schritt lang und nur wenig schmaler. Wie ein Grab. Überall auf dem Boden lagen zerbrochene Äste, die wie dunkle Rippen aus dem Schnee emporragten. Die Ränder der Grube waren nicht sehr steil. Es würde leicht sein, wieder aus ihr herauszusteigen.
Der Schnee oben knirschte unter Schritten. Das leise Klappern von Waffen ertönte. Golo spürte, wie sich etwas eisig in ihm zusammenzog, so, als seien plötzlich seine Gedärme gefroren. Er ließ sich zusammengekrümmt in den Schnee fallen. Dicht unterhalb des Randes der Grube schlug ein Pfeil ein. Aus den Augenwinkeln sah er für einen Herzschlag lang Füße über ihm durch den Nachthimmel gleiten. Der erste Trupp der Angreifer. Die Schritte entfernen sich. Das Keuchen verebbte. Doch was war, wenn noch mehr kamen? Was, wenn einer von ihnen in die Grube sprang, um vor den Pfeilen der Bogenschützen des Ebers Deckung zu suchen? Seine klammen Finger tasteten nach dem Dolch in seinem Gürtel. Zitternd zog er ihn hinaus und verbarg ihn neben sich im Schnee. Wenn jemand in die
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