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Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst

Titel: Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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warum hatte dieser fränkische Ba s tard ausgerechnet in dieses Loch springen müssen? Wäre er doch nur weitergelaufen. Vielleicht hätten die Pfeile ihn ve r fehlt, und er würde jetzt am Lagerfeuer sitzen und seine Suppe essen. Der Krieger war jung. Vielleicht fünfundzwanzig So m mer. Er hätte sicher noch zwanzig Jahre leben können!
    »Reiß dich zusammen!« murmelte Golo leise. »Du darfst dich nicht gehenlassen. Noch eine Stunde, dann ist es dunkel genug, um aus dem Loch zu kriechen.«
    Draußen war es still. Die Raben schienen davongeflogen zu sein. Nur das feine Knistern des Schnees war zu hören, wenn ein Windstoß Eiskristalle den Hügel hinauffegte.
    Wieder blickte Golo in das Gesicht des Toten. Was war, wenn der Geist des Mannes ihn verfolgte, um sich zu rächen. Er hatte von solchen Geschichten gehört, in denen die Geister Versto r bener ihre Mörder verfolgten. »Du weißt, daß ich nichts gegen dich gehabt habe. Es war ein Unglück. In meiner Lage hättest du nicht anders gehandelt. Du darfst mich nicht verfolgen … «
    Golo biß sich auf die Lippen. Er begann wahnsinnig zu we r den. Er sprach mit einem Toten! So konnte das nicht weiterg e hen. Der tote Krieger auf den Holzpflöcken rührte ihn nicht. Warum konnte er nicht einfach auch diesen Franken vergessen? Er durfte ihn nicht mehr anblicken. Bald würde die Nacht die Blässe im Gesicht seines Gegenübers verschlucken. Dann hoc k te dort nur noch ein undeutlicher Schemen am anderen Ende der Grube. Vielleicht wurde es aber auch schlimmer, wenn er den Kerl nicht mehr richtig sehen konnte. Er mußte vor ihm fliehen. Der Ritter schloß die Augen und lehnte sich gegen das kalte Erdreich. Jetzt spürte er, wie der Hunger an seinen Ei n geweiden fraß. Und er war müde … Unendlich müde. Vor dem Angriff hatte er nicht schlafen können.
    Es war verlockend, sich ein wenig treiben zu lassen. Auf dem schmalen Grad zwischen Tagtraum und Schlaf zu balancieren. Er dachte an das Dorf, in dem er aufgewachsen war. An die Erntezeit, als sie alle gemeinsam auf den Feldern gewesen w a ren. So weit fort war all dies. Wenn er sich der Erinnerung ganz hingab, konnte er fast den warmen Sommerwind auf den Wa n gen spüren.
    »Golo?«
    Erschrocken schlug der Ritter die Augen auf. Der Himmel über ihm war jetzt völlig schwarz. Er mußte eingeschlafen sein. Hatte ihn jemand gerufen? Oder war es nur eine Stimme in se i nen Träumen gewesen.
    »Golo?«
    Unsicher blickte er zu den beiden Toten. War es schon Mitte r nacht? Waren sie aus dem Reich der Geister zurückgekehrt, um nun auch ihn zu holen? Doch die Stimme war seltsam vertraut.
    »Hier. Hier bin ich.« Er wagte es nicht, laut zu rufen. In der Nacht waren Stimmen weiter zu hören als bei Tag. Er hatte Angst, daß die fränkischen Wachen auf ihn aufmerksam wu r den.
    Ein Geräusch wie ein Schleifen war zu hören. Es näherte sich dem Rand der Grube. Der Ritter spürte, wie sich ihm die Haare im Nacken sträubten. Was zum Henker war das dort draußen? Suchte ihn am Ende ein leichenfressender Unhold? Er bekre u zigte sich.
    Schnee rutschte vom Rand der Grube hinab. »Bist du dort u n ten?«
    Golo zückte den Dolch aus seinem Gürtel.
    »Golo?«
    Diese Stimme? Konnte es sein … Das war doch nicht möglich!
    »Mechthild?«
    Ein Schatten glitt über den Rand der Falle. »Golo! Du lebst. Ich habe es gewußt!« Das Mädchen schloß ihn in die Arme und drückte ihn fest an ihre Brust. »Bei der Heiligen Jungfrau! Du fühlst dich an wie ein Eisblock. Bist du verletzt? Kannst du la u fen?«
    »Was machst du hier? Bist du von allen guten Geistern verla s sen? Die Bogenschützen … «
    »Ich wußte, daß du nicht tot bist. Die anderen haben es g e sagt, aber ich wollte ihnen nicht glauben. Golo!«
    »Danke.« Er strich ihr zärtlich über das Gesicht. »Danke. Ich weiß nicht … « Er beugte sich vor und küßte sie.
    Schließlich war sie es, die sich aus der Umarmung löste. Doch es war gut. Er hatte gespürt, das sie keinen Groll mehr gegen ihn hegte. Was in Treveris geschehen war, war nun vergessen. Dieses Grab, in dem er den ganzen Tag gehockt hatte, hatte sie wieder zusammengeführt.
    »Hier, nimm das.« Mechthild zog sich einen mit Schnee ve r krusteten Schafsfellumhang von den Schultern. Darunter trug sie einen zweiten Umhang aus weißer Wolle. »Leg ihn an. S o lange wir über den Boden kriechen und der Mond hinter den Wolken verborgen bleibt, wird man uns nicht erkennen. Man müßte schon auf uns treten, um zu

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