Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
herüber.
Der Mann starrte ihn mit schreckensweiten Augen an. Jetzt erst bemerkte Golo, daß er noch immer den Dolch in Händen hielt. Hastig schob er die Waffe in seinen Gürtel. »Ich will dir nichts tun, Kamerad.« Der Franke schien nicht zu begreifen. Er war unfähig, sich zu bewegen und zu sprechen. Doch das war nicht nötig. Seine Blicke reichten. Golo wagte es nicht, näher zu kommen. Er sah auf die Pelzmütze. »Die ist gut. Sie wird dich ein bißchen warm halten.«
Schließlich setzte der Burgunde sich selbst die Mütze auf und kroch wieder in den entferntesten Winkel der Grube. Wenn es nur endlich wieder dunkel würde!
Endlos langsam wanderte die blasse Sonne über den schmalen Ausschnitt des Himmels, den Golo vom Grund der Grube aus sehen konnte. Das Röcheln des Franken setzte wieder ein. Wie langsam ein Mensch doch starb. Er war nicht mehr zu retten, dessen war sich der Ritter völlig sicher. Man mußte nur seine Hände ansehen. Sie waren krebsrot vor Kälte und die Finge r nägel fast schwarz. Er wünschte, der Kerl wäre endlich tot. Das Stöhnen war nicht mehr zu ertragen. Obwohl es langsam leiser wurde, klang es zugleich auch anklagender. Am liebsten hätte er ihn getötet, um endlich seine Ruhe zu haben. Aber er konnte es nicht. Es war ihm unmöglich, hinüberzukriechen und dem Krieger einfach die Kehle durchzuschneiden.
Manchmal legte er dem Sterbenden eine kleine Kugel aus Schnee in den Mund. Für einige Herzschläge verstummte dann das Röcheln. Auch er selbst nahm auf diese Weise Flüssigkeit zu sich, doch es war ein schlechter Weg. Er konnte förmlich spüren, wie das kalte Wasser die Wärme aus seinem Körper sog. Langsam bekam er auch Hunger. Gestern am frühen Abend hatte er zum letzten Mal gegessen. Ein bißchen Hirs e brei und Brot. Was der Franke wohl gegessen hatte? Ob er d a ran gedacht hatte, daß es seine letzte Mahlzeit sein würde? G e wiß nicht.
Das Gesicht des Franken wirkte wie mit einer dünnen Schicht aus Wachs überzogen. Eiskristalle hatten sich in seinem blo n den Bart gebildet. Er war der erste Mensch, den Golo getötet hatte und dem er anschließend beim Sterben zusehen mußte. Was der Krieger wohl getan hätte, wenn er ihn nicht mit dem Dolch angegriffen hätte? Ob er selbst dann jetzt sterbend hier unten läge? Während der Kämpfe in Aquitanien hatte er zwei Krieger erschlagen, und hier in den Bergen waren es schon ein halbes Dutzend. Er konnte sich nicht einmal mehr an die G e sichter seiner Toten erinnern. Doch diesen hier würde er ni e mals vergessen. Jedes Röcheln war wie ein Dolchstoß. Der Ste r bende hatte die Stunden für sich. Die Zeit und die Gedanken. Sie waren wie unsichtbare Messer. Er sollte nicht mehr hi n übersehen! Doch die Grube war zu klein. Hier gab es kein Ausweichen! Wieder blickte Golo zum Himmel. Ihm war kalt. Wenn er in der Dunkelheit nicht von hier fortkam, dann würde auch er sterben.
Ganz nahe hörte er das Krächzen von Raben. Sicher machten sich die schwarzen Vögel an den Toten der letzten Nacht zu schaffen.
Das Röcheln des Franken riß Golo aus seinen Gedanken. Er würde viel darum geben, wenn der Krieger überleben würde. Es war schwer, einfach nur dazuliegen und ihm zusehen und zuhören zu müssen. Einmal war der junge Ritter fast so weit, aus der Grube zu klettern. Er hatte sich schon aufgerichtet und streckte die Hände nach dem Rand. Dann jedoch besann er sich eines Bessern. Nur wenige Stunden mußte er noch warten. Wenn in dieser Nacht Wolken vor dem Mond stünden, könnte er gefahrlos bis zu den Wällen kriechen. Er durfte nur nicht vorher einschlafen. Wenn er die Augen schloß, dann würde er nicht mehr aufwachen. Die Kälte würde ihm im Schlaf sein L e ben stehlen.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung war der Franke tot. Erst war Golo erleichtert, doch dann begann ihm die Totenstille zu schaffen zu machen. Neben den beiden Leichen empfand er es als Unrecht, noch zu leben. Sie belauerten ihn. Waren neidisch auf den letzten Rest von Wärme, der in seinem Leib verblieben war. Golo wünschte, das Röcheln wäre wieder da. Stoßweise, heiser, einmal pfeifend leise, dann wieder heiser und laut.
Er kroch zu dem Toten und schloß ihm die Augen. Er konnte den starren Blick in seine Richtung nicht ertragen. Die Ankl a ge … Der Ritter bürstete sogar die Eiskristalle aus dem Bart des Franken. Ob er wohl ein Weib gehabt hatte und Kinder?
Der Ritter fluchte leise. Diese verdammte Revolte. Was mac h te er hier eigentlich? Und
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