Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
»Manchmal hilft es, auf die Gnade Gottes zu vertrauen.«
Der Eber pfiff leise durch die Zähne. »So schlecht steht es also schon um uns! Ich für meinen Teil traue ihm nicht, und ich werde herausbekommen, ob er uns betrügt.« Ein Felsbrocken zog zischend über ihre Köpfe hinweg. Krachend durchschlug er ein Häuserdach. Gedämpfte Schreie ertönten.
»Wir müssen dafür sorgen, daß mehr Schnee auf den Dächern liegt. Er wird die Treffer durch die Geschosse ein wenig abf e dern.« Volker ließ sich den Erdwall hinabrutschen und rannte ins Dorf. Es war vernünftiger, sich mit praktischen Dingen zu beschäftigen, statt hinter allem Verrat und Intrige zu sehen.
Er hatte sich Volker anvertraut. Es ging so nicht mehr weiter. Er verzehrte sich vor Sehnsucht nach Mechthild. Sie hatte zwar noch den Körper eines Mädchens, doch in den letzten Wochen war sie eine Frau geworden. Golo spürte, daß auch sie sich nach ihm sehnte. Es war die Art, wie sie ihn ansah oder manchmal verstohlen seine Hand berührte. Er war sich ganz sicher … Schließlich war sie es gewesen, die ihn in Treveris au f gefordert hatte!
Trotz all dieser Zeichen war er sich jedoch auch sicher, daß sie ihn nicht mehr direkt darauf ansprechen würde. Diesmal wäre es seine Sache, den ersten Schritt zu unternehmen. Gewiß hatte sie Angst, noch einmal so verletzt zu werden. Sich eine Blöße zu geben …
Volker war völlig überrascht gewesen, als Golo ihm erklärt hatte, wer sich hinter dem Waffenknecht verbarg. Der Spie l mann mußte blind sein! Daß ausgerechnet er eine Frau nicht erkannt hatte … Es gab kein Haus, keine Kammer und keinen Heuboden, auf dem Golo mit Mechthild für ein paar Stunden hätte allein sein können. Überall waren Flüchtlinge unterg e bracht, und die Nachtlager der verschiedenen Paare waren oft nicht einmal durch aufgespannte Tücher voneinander getrennt. Für manche mochte es seinen Reiz haben, wenn sie ihren Gelü s ten unter den Augen anderer nachgingen, doch Golo wußte, daß sich Mechthild ihm unter solchen Umständen niemals würde hingeben können. Er wollte mit ihr allein sein in ihrer ersten Nacht.
Der einzige im ganzen Dorf, der eine Unterkunft für sich a l lein hatte, war Volker. Niemand wagte es, mit ihm, dem Au s erwählten, unter einem Dach zu wohnen. Je verzweifelter ihre Lage wurde, desto seltsamere Züge nahm die Verehrung eines Teils der Dorfbewohner für den burgundischen Spielmann an. Wenn er durch das Dorf ging, versuchten manche Männer und Frauen, den Saum seines Gewandes zu berühren, so, als sei es schon jetzt eine schutzverheißende Reliquie. Sicher, es war u n bestritten ein Wunder, daß es Ricchar bislang noch nicht gelu n gen war, das kleine Bergdorf zu erobern, doch deshalb war der Barde noch kein Heiliger. Auch dann nicht, wenn Belliesa i m mer neue Geschichten und Lieder über den Spielmann erfand.
Volker aber hatte ihm auf sein Bitten für eine Nacht seine Hütte beim Turm des Ebers überlassen. Es war eines der klein s ten Häuser im Dorf. Man hatte es aus mächtigen Balken g e zimmert und die Fugen in den Wänden mit Moospolstern z u gestopft. Es gab nur einen einzigen Raum. Er war etwas wen i ger als vier mal vier Schritt groß. Der Boden bestand aus g e stampftem Lehm, über den Moos und Stroh gestreut war. Am hinteren Ende gab es eine gemauerte Feuerstelle, von der der Rauch unter den rußgeschwärzten Deckenbalken bis hin zu der kleinen Öffnung im Giebel über der Tür zog. Dicht neben der Feuerstelle war auf dem Boden ein Lager aus Wolldecken und Fellen ausgebreitet. Dort lag er nun mit Mechthild. Sie hatten ein einfaches Mahl aus Hirsebrei, altem Brot und Käse verzehrt. Obwohl die Speicher des Dorfes bis fast zu den Dachschindeln mit Vorräten gefüllt waren, hatte Volker vor einer Woche die Rationen für alle drastisch gekürzt. Das tägliche Essen reichte jetzt kaum noch, um satt zu werden, und Golo hatte sich die Brot- und Käsestücke, die er Mechthild heute abend angeboten hatte, drei Tage lang vom Mund abgespart. Obwohl der Hu n ger nun ihr Gast geworden war, hatte sich die Stimmung unter den Belagerten deutlich gebessert, seit die Lebensmittel rati o niert waren. Volker hatte allen auf diese Weise seine Zuversicht gezeigt, daß sie noch bis zum Frühling Widerstand leisten würden. Golo wußte allerdings, daß die Entscheidung des Spielmanns nicht auf wirklicher Hoffnung begründet war, so n dern allein auf taktischem Kalkül beruhte. Der Barde glaubte nicht daran,
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