Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
sehen. Ein eisiger Luftzug wehte in das Zimmer. Noch immer roch es wie nach glühendem Metall.
»Ist die Kugel fort?« flüsterte Mechthild leise.
»Was für eine Kugel?«
»Das helle Licht … Ist es fort?«
Volker trat an das Bett des Mädchens. »Du meinst den Feue r vogel?«
Die Kleine sah ihn verständnislos an. »Das helle Licht. Die Kugel … «
Der Spielmann schloß sie fest in die Arme. »Ja, das Licht ist fort. Es hat nichts Böses von dir gewollt. Es hat mich gerufen. Ich werde ihm folgen müssen.«
»Du wirst mich allein lassen, nicht wahr?«
»Nein, meine kleine Prinzessin. Du sollst mich begleiten. Egal, wohin ich auch reite. Das habe ich dir versprochen, und ein wahrer Ritter hält immer das Wort, das er einer Dame gibt.« Volker schob ihr zärtlich die Hand unter das Kinn und hob i h ren Kopf, so daß sie ihm ins Gesicht blicken mußte. »Ich werde für dich sorgen, bis wir ein neues Zuhause für dich gefunden haben.«
Auf dem Gang vor dem Zimmer war der schwere Tritt gen a gelter Soldatenstiefel zu hören. Jemand klopfte energisch an die Tür. »Ist alles in Ordnung, Herr? Wir haben ein Licht gesehen, das vom Himmel gestiegen ist.«
»Es geht mir gut!« Mit Mechthild im Arm trat Volker an die Tür und öffnete. Wahrscheinlich war es am besten, sich den Soldaten kurz zu zeigen, damit sie beruhigt auf ihre Posten z u rückkehrten. Als er aus der Tür schritt, wichen die Krieger ängstlich vor ihm zurück. Auch wenn sie schimmernde Kette n hemden trugen, waren es nur einfache Männer.
»Mithras hat ein Sternenlicht zu Euch geschickt, nicht wahr? Wir alle konnten es sehen, wie es in Euer Zimmer geflogen ist und wie Ihr es zum Fenster geleitet habt, als es wieder in den Himmel gestiegen ist.« Der Mann, der zum ihm gesprochen hatte, war der älteste unter den Kriegern. Sein dunkelbraunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Er hatte ein offenes und ehrliches Gesicht, in dem sich nun abergläubische Furcht spiegelte.
»Es war ein Vogel aus Licht, der mich besucht hat. Seine Fl ü gel waren lodernde Flammen.«
Der ältere Krieger sagte etwas, was Volker nicht verstand. Ein Wort wie ater oder etwas Ähnliches. Die Männer knieten nieder und senkten ehrfürchtig ihre Häupter.
Volker räusperte sich verlegen. »Steht auf! Laßt das! Es war kein Bote eures Gottes, der mich aufgesucht hat.«
»Doch, Herr! Der Lichtvogel ist ein Bote des Ormuz, der jeden Tag in seinem Flammenwagen über den Himmel fährt. Ihr seid ein Auserwählter des Lichtes. Das Augenmerk der Götter liegt auf Euch!«
4. KAPITEL
s war ein Spätsommertag, an dem man den Atem des Winters schon in der Luft spüren konnte. O b wohl es nicht wirklich kalt war, war doch deutlich, daß die Hitze, die noch den vorherigen Tag b e stimmt hatte, in diesem Jahr nicht mehr zurüc k kehren würde. Auf der gepflasterten Straße, die in die Berge führte, standen große Pfützen, und die Steine waren mit dem Laub bedeckt, das der Sturm der letzten Nacht von den Bä u men g e rissen hatte.
Golo blickte zum Himmel, der halb von den Kronen der h o hen Eichen verdeckt wurde, welche die breite Straße säumten. Der Wind trieb weißgraue Wolkengebirge über den Himmel. Fast alle Blätter an den Bäumen hatten schon braune Kränze an ihren Rändern. Bald würde der Herbst den Wald in Rot und Gold tauchen. Den jungen Ritter fröstelte es. Man hatte ihm in der Stadt erzählt, daß der Herbst in den Bergen nur kurz sei und daß schon lange vor dem Christfest Schnee fallen würde, der die Straßen unpassierbar machte und die Dörfer und kle i nen Städte voneinander abschnitt. Doch trotz dieser Aussichten war er froh, Castra Bonna hinter sich zu lassen. Jetzt, wo Volker dem intriganten Frankenfürsten entkommen war, würde alles wieder so werden, wie es einmal gewesen war.
Ein wenig mißmutig blickte er zu dem Mädchen, das der Spielmann vor sich auf den Sattel genommen hatte. Sie hielt die Zügel, und Volker spielte für sie ein ausgelassenes Lied auf se i ner Laute. Was sollte nur mit ihr werden, wenn der Winter kam? Sie würde die Kälte und die Entbehrungen nicht überl e ben! Volker hatte sich sehr verändert. Golo dachte an das Mä d chen, das sie im letzten Jahr an einem einsamen Wegkreuz in Aquitanien zurückgelassen hatten. Sie war nur zwei oder drei Jahre älter gewesen als Mechthild … Der Barde hatte ihr das Herz gebrochen. Eine einzige Liebesnacht nur hatte er mit ihr verbracht und sie dann, als sie aus ihrem Dorf ausgeschlossen
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