Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
stickigen Hitze der Küche verbracht. Für einen Ritter ziemte es sich zwar eigentlich nicht, sich unter das G e sinde zu begeben, dennoch war dies der Ort, den er wann i m mer möglich zuerst aufsuchte, wenn er mit Volker in eine Burg oder Residenz einkehrte. Eine kurzer Besuch in der Küche ve r mochte mehr über einen Burgherren zu verraten, als man an einem ganzen Abend herausfand, den man mit ihm an seiner Tafel saß. Gerade weil sich adelige Gäste in der Regel nie an die Herdfeuer einer Burg verirrten, waren sie so aufschlu ß reich. Hier mußte ein Gastgeber nicht mehr repräsentieren. Die Küche offenbarte sein wahres Gesicht.
Waren die Mägde und Köche zum Beispiel spindeldürr, so konnte man gewiß sein, daß, egal wie freigiebig der Burgherr an seiner Tafel tat, er doch heimlich jeden Becher Wein mitzäh l te, den seine Gäste tranken. Man konnte auch davon ausgehen, daß ein solcher Geizhals ein üppiges Mahl niemals ohne Hi n tergedanken gab.
Ein Tyrann hingegen hatte in der Regel ein ganzes Rudel kle i ner Tyrannen unter seinen Gefolgsleuten, die von verängstigten Duckmäusern umgeben waren. In einem solchen Fall waren das Verhältnis zwischen dem Mundschenk und den Köchen und den Mägden häufig ein getreuer Spiegel der Machtverhäl t nisse am Tisch des Fürsten.
Die Küche hier in Treveris war sympathisch. Die Dinge liefen ohne Eile, und doch war alles zur rechten Zeit bereit. Die Sauce fand zum Braten, ein Teller mit Butter und weißem Käse zum frisch gebackenen Brot. Selbst die niedrigsten Mägde wagten es, über den Koch des Prinzen zu scherzen, und ständig war in irgendeiner Ecke des Raums ein Kichern zu hören. Unbehaglich war allein die Küche selbst, denn sie war einfach zu groß, um so gemütlich wie die Herdstelle in einer Burg zu sein, wo alle dicht beieinander hockten. Es gab drei verschiedene Öfen und mehrere offene Feuer unter gemauerten Kaminen, wo Braten zubereitet wurden. Einst mußten hier die Mahlzeiten für einen riesigen Hofstaat gekocht worden sein. Man sagte, Kaiser Ko n stantin habe hier vor langer Zeit geherrscht. Was für Gerichte wohl auf seiner Tafel gestanden hatten?
Golo leckte sich nachdenklich die Lippen und dachte an G e richte, die er bislang nur vom Hörensagen kannte. Nüsse so groß wie Kinderköpfe, in deren Inneren angeblich Milch war, süßes Gebäck, aromatisiert mit Zimt und anderen Gewürzen aus dem fernen Arabia Felix, geharzte Weine aus Lesbos und aus Ephesos, serviert in Gläsern, so klar wie die Luft an einem kalten Wintertag. Der Recke seufzte leise.
Mit einem lauten Krachen fiel etwas vor seine Füße. Golo blickte hinab. Es war ein Stock, mit Kaninchenfell umwickelt .
»Bist du bereit zur Fechtstunde, Krieger?«
»Mechthild!«
Hinter einer Säule trat das junge Mädchen hervor. Sie hatte ihre Haare mit Knochenkämmen hochgesteckt und trug neue Kleider. Eine lederne Hose, eine Tunika aus grüner Wolle und eine pelzbesetzte Weste. In den Händen hielt sie einen fellu m wickelten Stock. »Nun, Fechtmeister? Wie steht es mit uns?«
Golo lachte und hob den Stock zu seinen Füßen auf. »Schön dich zu sehen, Kleine. Mal schauen, ob du noch etwas behalten hast.« Der junge Ritter machte einen Ausfallschritt nach vorne und zielte mit einem Stich auf die Brust des Mädchens.
Geschickt wich Mechthild mit einer Drehung zur Seite aus, täuschte ihn mit einer Finte und versetzte Golo dann einen leichten Schlag auf den rechten Arm.
»Beim gehörnten Baphomet! Wo hast du das denn gelernt!«
Das Mädchen grinste. »Ich hatte eine gute Lehrerin. Aber … « Sie stockte und blickte ihn auf eigenartige Weise an. »Ich habe dich vermißt, Golo.«
Der Ritter ließ den Stock sinken und erwiderte ihren Blick. Erst jetzt, in ihren neuen Kleidern, fiel ihm auf, wie reif die Formen des Mädchens doch schon waren. Oder war es möglich, daß sie sich in weniger als einem Monat so sehr verändert ha t te? Er schloß sie in die Arme. »Es ist kaum eine Stunde verga n gen, in der ich mich nicht gefragt habe, was aus dir geworden ist und wohin dein Weg dich geführt haben mochte. Komm laß uns an einen ruhigen Ort gehen. Es gibt viel zu erzählen.«
Statt einer Antwort lächelte Mechthild nur. Dann griff sie ihn bei der Hand, und sie gingen zu den Ställen.
Volker hatte vor Ärger fast keinen Bissen während des abendl i chen Festmahls herunterbekommen, das Giselher ihm zu Ehren veranstaltete. Er saß auf dem Platz zur Rechten des Gastgebers; es machte ihm zu
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