Nibelungen 08 - Der Ketzerfürst
schaffen, wie er den ganzen Abend über a n gegafft wurde. Nicht, daß er es nicht gewohnt gewesen wäre, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Im Gegenteil, als Spielmann genoß er es sogar, wenn niemand ihm Saale den Blick von ihm zu wenden vermochte und er einem Teil der Frauen ansah, wie ihre Herzen schneller zu schlagen begannen, wenn er seine traurigen Liebeslieder sang. Doch das hier war etwas gänzlich anderes! Diesmal woben die Blicke kein Band, sondern sie schufen Distanz. Es war, als sei er für die Gäste wie eines der Heiligenbilder im Bogen über dem Hauptportal des Wormser Münsters. Ein Heiligenbild, aus Stein geschlagen. Nah und doch unnahbar!
Und dann kam der Auftritt Belliesas! Ihm hatte Giselher ve r boten, seine Laute mitzubringen und eines seiner Lieder zu si n gen. Angeblich würde er damit seinem neuen Ruf und indirekt auch der Sache des Königs schaden, hatte der junge Kriegsherr behauptet. Volker schnaubte verächtlich! Was für ein Unsinn! Die Hälfte der Gäste an der Tafel kannte er schon seit Jahren. Sie mußten doch wissen, wer er war!
Die junge Bardin hatte die Abfolge ihrer Lieder und der vo r getragenen Epen wohl durchdacht. Sie begann mit biblischen Geschichten um die Erzengel und fuhr dann damit fort, wie ihm, Volker, in Castra Bonna der Erzengel Gabriel erschienen sei, um ihn zu erleuchten. Seine Mission sei, das Land vom Ke t zerfürsten zu befreien. Der Spielmann lachte stumm in sich hinein. Unsinn!
Danach trug Belliesa ein Epos über den Cheruskerfürsten Arminius vor, der mit wenigen schlecht bewaffneten Gefährten die Römer von seinem Land vertrieben hatte. Das nächste Lied, drehte sich dann darum, wie Volker allein in Icorigium die Macht Ricchars herausgefordert hatte. Sie berichtete auch, wie der Erzengel selbst in einem Kampf mit dem Eber seine Schwerthand führte, so daß er den gefährlichen Räuber mit verbundenen Augen bezwingen konnte und ihn anschließend zu seiner Sache bekehrte. Zum Schluß hörte der Spielmann kaum noch zu. Glaubte man ihr, war er mittlerweile der Anfü h rer einer kleinen Armee, die sich gegen die Tyrannei erhoben hatte.
In der Festhalle herrschte Totenstille. Jeder, selbst die Bedien s teten, die Fleisch und Wein auftrugen, schienen an den Lippen der Bardin zu hängen. Sogar Golo, der es eigentlich besser wi s sen müßte, hatte einen seltsam entrückten Blick. Glaubte er e t wa den Unsinn, den Belliesa verbreitete? Wie konnte jemand, der ihn kannte und dem in den letzten beiden Jahren keines seiner Laster verborgen geblieben war, ernsthaft in Erwägung ziehen, er sei der Auserwählte eines Erzengels!
Sollte diese zweitklassige Bardin mit ihren holpernden Dakt y len erst einmal fertig werden. Der Palast Giselhers mochte groß sein, doch nicht groß genug für sie beide! Volker würde sie fi n den. Und wenn es soweit war, würde er dem Weibsbild sagen, was er von ihr hielt! Als nächstes mußte er dann dem Schwi n del ein Ende bereiten! Es war genug! Er, der Auserwählte eines Erzengels! Das war der größte Unsinn, den er jemals gehört hatte! Ihn interessierte dieser Aufstand in den Bergen einen feuchten Dreck. Wenn es denn überhaupt einen Aufstand gab und das nicht auch nur eine Geschichte der Bardin war.
Volker war einzig und allein gekommen, um den Feuervogel zu finden. Damit hatte er auch noch nicht abgeschlossen. Er würde in die Berge zurückkehren. Allein! Was er dort tat und wonach er suchte, ging niemanden etwas an. Er konnte von Golo nicht erwarten, daß er mit ihm ritt. Bald würde der erste Schnee fallen. Gott allein wußte, ob es sein Schicksal war, vie l leicht in den Bergen zu verrecken. Deshalb würde er gehen, ohne es irgend jemand zu sagen. Er wollte für niemanden mehr verantwortlich sein. Und schon gar nicht für einen Aufstand. Was sollte er mit einem Haufen schlechtbewaffneter Rebellen anfangen, die sich in ihre Dickschädel gesetzt hatten, gegen den fähigsten Kriegsherren Germaniens Krieg zu führen? Nach der ersten Schlacht wäre dieser Aufstand beendet.
Ricchar würde bis zum Frühling warten, bis das Wetter gut genug war, um Armeen zu bewegen. Dann würde er längstens noch einen Monat brauchen, um auch den letzten Rebellen zur Hölle zu schicken.
Und wer wäre schuld an diesem Aufstand? Wer hätte dieses ganze sinnlose Gemetzel entfesselt?
Giselher beugte sich zu ihm herüber. »Singt sie nicht wunde r schön? Wenn ich sie höre, muß ich an Engel denken.«
Volker nickte. Antworten konnte er nicht.
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