Nibelungenmord
Seine Stimme klang dumpf, und er sah sie nicht an.
»Schulhefte.« Sie sah auf die Uhr. »Ich wette, unsere Tote ist Lehrerin. Jetzt ist in den Schulen niemand mehr. Wir warten ab, was die Zeitungsartikel uns bringen. Vielleicht wissen wir danach mehr. Wer fährt zu Romina Schleheck? Reimann? Oder wolltest du Liebesbriefe schreiben?«
»Ich fahre«, sagte Jan schnell. »Ich guck mal, wer noch mitkommt.«
Ehe er ging, warf er noch einen Blick zurück. Elena starrte aus dem Fenster, Reimann sah in die andere Richtung. Er kam Jan noch unruhiger vor als sonst, aber vielleicht war er nur wieder einmal auf Entzug. Raucher waren ja irgendwie einfach gestrickte Wesen.
*
Jans schwarzer Mini stand vor dem Präsidium. »Das ist doch kein Auto für einen Mann«, hatte seine Schwester Clara gemeckert, aber ihm gefiel der Wagen. Auch Nicoletta hatte ihn gemocht, sie waren übereingekommen, dass sie ja ohnehin einen neuen würden anschaffen müssen, wenn sie einmal ein Baby bekamen, und bis dahin passte dieser bestens. Sie waren beide eher klein.
Ein Baby. So weit hatten sie schon gedacht.
Als er starten wollte, klopfte jemand ans Fenster. Es war Elena. Sie musste ihm nachgelaufen sein.
»Nimmst du mich ein Stück mit?«, fragte sie, nachdem er widerwillig die Beifahrertür geöffnet hatte.
»Du musst doch zur Pressekonferenz.«
»Erst in einer Stunde.«
Er zögerte, dann bedeutete er ihr einzusteigen. »Wohin musst du denn?«, fragte er.
»In die nächste Kneipe, ich will nämlich mit dir reden«, sagte sie. Ihr Kopf stieß beinahe an die Wagendecke, und ihre Beine waren unnatürlich angewinkelt. Sie passte nicht in dieses Auto. Sie sollte besser aussteigen.
»Ich habe keine Zeit.«
Elena grinste wissend und zeigte dabei ihre Pferdezähne. »Glaube ich dir. Trotzdem gibt es da etwas, das wir besprechen sollten.«
»Warum hast du dann nicht früher damit angefangen?« Jan warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast sieben. Wenn er noch zu Romina Schleheck fuhr, blieb wenig Zeit für das Abendessen mit Edith. Eigentlich hatte er vorgehabt, beim Dalmatija-Grill in Niederdollendorf anzuhalten, seine Bestellung aufzugeben und dann schnell in seiner zukünftigen Wohnung nach dem Rechten zu sehen, ehe er das Essen abholte. Aber dieser Zeitplan war auch ohne Elenas Überfall unrealistisch. Es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als etwas beim Drachengrill zu holen, das ging wenigstens schnell.
Elena sah ihn unverwandt an. Sie hatte einen so dramatischen Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass er kurzfristig befürchtete, sie würde verliebt über ihn herfallen. Zum Glück griff sie stattdessen nach ihrer unvermeidlichen Wasserflasche und schraubte sie langsam auf. »Das, was ich mit dir besprechen will, geht die anderen nichts an.«
»Dann schieß los.«
»Es fällt inzwischen allen auf, Jan.«
»Was fällt auf?«
»Dass du dich vor Obduktionen drückst. Frenze hat heute schon wieder eine Bemerkung fallengelassen. Und mir ist dabei noch etwas eingefallen. Als damals die Obdachlose in der Unterführung erfroren ist, musstest du ganz plötzlich weg, um deine Karte sperren zu lassen. Und als die Leiche aus Koblenz angespült wurde, hast du Magen-Darm-Grippe bekommen und bist erst später im Präsidium aufgetaucht.«
»Und was sagt dir das?«
»Sag du es mir.«
Er hasste diese pädagogische Art von ihr. »Mir sagt es, dass letztes Jahr meine EC-Karte verschwunden ist und dass ich bedauerlicherweise auch mal krank werde.«
»Das dachte ich auch, bis du heute schon wieder alles getan hast, um nicht der Erste am Tatort zu sein.«
»Denk doch, was du willst.«
»Ich denke, dass du Angst vor Leichen hast.«
»Und ich denke, dass du nervst. Ist dir die Haltestelle recht?« Er hielt am Bahnhof.
Nicht eine Sekunde würde er darüber nachdenken, wie Elena zurück ins Präsidium kam. Das war ihre Sache. Sie sollte sich um ihren Kram kümmern, er sich um seinen. So machte man das, wenn man miteinander klarkommen wollte. Und er hatte wirklich genug um die Ohren. Er musste zu Romina Schleheck und dann Abendessen holen.
Elena rührte sich nicht.
»Ich dachte, ehrlich gesagt, es wäre dir lieber, wenn ich dich drauf anspreche«, sagte sie. »Jetzt bist du wenigstens vorbereitet, wenn der Chef mit dem Thema ankommt.«
Er beugte sich über sie, auch wenn es ihn Überwindung kostete, und öffnete die Beifahrertür. Ihre Pferdehaare berührten sein Gesicht, und er musste sich bemühen, nicht zusammenzuzucken. »Auf Wiedersehen, Frau
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