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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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deswegen zu stressen.
    Warum hatte sie Sven geküsst? Denn obwohl Lara nicht mehr genau wusste, wie es überhaupt dazu gekommen war, war sie sicher, dass die Initiative von ihr ausgegangen war. Denn Sven hätte sich ihr niemals genähert. Das war der Grund, weswegen sie so gern mit ihm herumhing. Er war anders als die anderen Kerle, die immer nur rumfummeln wollten und sich nicht die Zeit nahmen abzuwarten, ob ihr das gefiel. Und weil Sven und sie nicht mit Rumfummeln und dem Abwehren davon und den Diskussionen darüber, warum sie nicht fummeln wollte, beschäftigt waren, hatten sie viel Zeit zu reden, und das gefiel ihr. Man konnte gut mit Sven reden, auch wenn er etwas schüchtern war.
    Igitt, würde Sandy sagen. Sie hielt Sven für einen Freak. Einmal hatte sie ihn sogar einen Psycho genannt, weil er in Mathe total ausgetickt war. Er hatte seine Hefte mit seinem Benzinfeuerzeug angezündet und geschrien, einfach nur geschrien. Er hatte mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl gesessen, hinter den brennenden Heften, und gebrüllt. Das hatte krass ausgesehen, klar. Dabei war das nur passiert, weil er so Ärger mit seinen Eltern gehabt und deswegen zu viel gekifft und anschließend eine Pille geschmissen hatte. Und dann hatte der Mathelehrer Gruber noch ein Problemgespräch angefangen und gefragt, warum seine Noten immer schlechter würden. Er hatte ständig weitergefragt, obwohl Sven nicht darüber reden wollte. Da war er halt ausgeflippt.
    Lara fand es nicht gut, dass Sven so viele Drogen nahm, doch sie wusste, dass er bald damit aufhören würde. Ihm ging es selbst dreckig dabei. Es waren seine Eltern, die ihn krank machten. Er selbst war normal.
    Vielleicht würde sie ihn später anrufen und fragen, ob er vorbeikommen wollte. Nicht, um weiterzuknutschen. Sondern einfach so, vielleicht würden sie eine DVD gucken oder so. Ihr Vater hätte bestimmt nichts dagegen.
    Alles war viel cooler, wenn ihre Mutter nicht da war. Ihre Mutter stand jeden Morgen um sechs Uhr auf, auch dann, wenn keine Schule war, und wenn nicht spätestens um halb neun alle am Frühstückstisch saßen, wurde sie nervös. Das war eine Lehrerinnenkrankheit.
    Mit ihrem Vater war das Leben locker. Sie konnte im Schlafanzug frühstücken, wenn sie wie heute erst später Schule hatte, und dabei fernsehen, das störte ihn nicht, solange sie ihn in Ruhe Zeitung lesen ließ. Vielleicht blieb ihre Mutter ja einen Tag länger weg, dann konnte Lara heute Abend mit Sandy und den anderen auf dem Museumsplatz Schlittschuh laufen. Die Eisbahn war bereits seit letzter Woche geöffnet, aber tagsüber lockte es Lara nicht, da waren nur Kinder da.
    »Hat Mama schon angerufen?«, fragte sie, während sie Kakaopulver in die Milch schaufelte.
    »Nimm einen Untersetzer«, sagte ihr Vater, ohne den Blick von der Zeitung zu heben.
    »Kommt sie heute wieder oder erst morgen?«
    Die Zeitung hörte auf zu rascheln.
    »Papa?«
    Die Zeitung flog auf den Tisch und rutschte von dort auf den Boden. Das Gesicht ihres Vaters war aschfahl. Wahrscheinlich wieder irgendein Gewerkschaftskram, der ihn aufregte.
    »Was ist passiert, Papa?«
    Er starrte sie an, als habe er sie nie zuvor gesehen, dann rannte er in den Flur, und sie hörte, wie er das Telefon bearbeitete. Eher neugierig als ernsthaft besorgt hob Lara die Zeitung auf und las, was ihn so erschreckt hatte.
    Eine ganze Seite war dem grausigen Fund im Nachtigallental gewidmet, von dem sie bereits wusste. Nun, da es sich nicht um Svens Mutter handelte, hielt sich ihr Interesse in Grenzen.
    Obwohl … Sie stockte, als sie das Foto sah. Warum war der Blazer ihrer Mutter in einem Artikel über die fremde Tote?
    Sie begriff langsam, viel zu langsam.
    Und als die Information ihr Hirn erreicht hatte, erklang ein lauter Schrei aus dem Flur. »Was soll das heißen, sie ist nicht bei dir? Sie muss einfach bei dir sein!«
    Und dann fing ihr Vater an zu heulen, und Lara heulte mit. Vor allem, als ihr bewusst wurde, dass sie noch vor wenigen Minuten gehofft hatte, ihre Mutter werde möglichst spät wiederkommen.
    *
    Das schindelgedeckte Fachwerkhaus hätte gut in ein Bilderbuch gepasst. Grüne, schiefe Fensterläden, eine kleine Holzbank im Vorgarten, der jetzt winterlich kahl, im Frühling aber sicher voller Grünzeug war. Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein, und in einer Holzkiste unter dem niedrigen Vordach lagen sandige Möhren und seltsame gelbe Wurzeln.
    Es war das Haus einer Hexe, und der große getigerte Kater, der Jan aus

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