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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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dem Wohnzimmerfenster teilnahmslos anglotzte, tat sein Übriges, um diesen Eindruck zu verstärken. Gestern war es zu dunkel gewesen, um viel zu erkennen, aber das, was er jetzt sah, ließ Romina Schleheck in einem interessanten Licht erscheinen. Eine Kulisse wie für Hänsel und Gretel, dachte er.
    Er klingelte mehrmals, doch niemand öffnete. Nach kurzem Zögern folgte Jan einem kleinen Pfad aus Bruchsteinplatten, die sich an hohem Gestrüpp vorbei um das Haus wanden.
    Er fand Romina Schleheck in einem improvisierten Anbau, der offenbar als Atelier gedacht war. Das Dämmerlicht, das durch die großen Oberlichter fiel, reichte nicht aus, um den Raum zu erhellen. Ein altmodischer Heizlüfter bemühte sich angestrengt, etwas Wärme zu produzieren, die in dem hohen zugigen Raum jedoch ohne bleibende Wirkung verpuffte. Hinter einem zierlichen asiatischen Raumteiler in der Ecke stand ein Schreibtisch.
    Romina Schleheck schien zu arbeiten. Ihr Haar hing ihr wirr um den Kopf, und über ausgewaschenen Karottenjeans trug sie ein farbbespritztes Herrenhemd, unter dem ein Strickpulli hervorlugte. Sie sah anders aus als gestern. Schlechter. Nicht unbedingt so, wie Jan sich die heimliche Geliebte eines erfolgreichen Schönlings wie Michael Sippmeyer vorgestellt hatte.
    Unwillig sah sie ihm entgegen. »Sie schon wieder.«
    »Ich habe leider noch einige Fragen.«
    »Dann fragen Sie.« Die Malerin schaute auf das Bündel Pinsel in ihrer Hand, als überlegte sie, was sie damit anfangen sollte. Dann legte sie die Pinsel auf einem der farbbeklecksten Tische ab und drehte sich zu Jan um.
    »Man hat mir gesagt, dass Sie überwiegend an Touristen verkaufen. Die Drachenfrau, so nennt man Sie«, sagte Jan und betrachtete mit einigem Befremden die Leinwände, die an der Wand lehnten. Sie zeigten weder Drachen noch den Rhein oder Ansichten des Siebengebirges. Auf allen befand sich dasselbe Gesicht mit immer wechselnder Mimik, ein Gesicht mit hässlichen Falten, einer Warze, die einer Hexe zur Ehre gereicht hätte, hämisch verzogene Mundwinkel, ungepflegte buschige Augenbrauen. Offenbar hatte Romina Schleheck ein Faible für eigenwillige Selbstporträts. »Nichts für ungut, Frau Schleheck, aber Touristenware stelle ich mir anders vor.«
    Ein Lächeln kräuselte die trockenen Lippen der Malerin, und sie sah ihn abwartend an.
    »Oder?«, setzte er nach.
    »Die Sachen hier im Atelier haben nichts mit dem zu tun, was ich im Laden verkaufe.« Romina verschränkte die Arme. Falls ihr Jans Betrachtung ihrer Bilder nicht gefiel, so ließ sie es sich nicht anmerken.
    »Meine Kollegin hat inzwischen mit Ihrem Nachbarn gesprochen. Er sagt, dass Sie in der betreffenden Nacht Besuch gehabt haben.«
    »Mein Nachbar ist etwa achtzig.«
    »Und?«
    »In dem Alter kennen manche Leute nichts Besseres, als Tag und Nacht aus dem Fenster zu gucken, in der Hoffnung, dass etwas passiert.«
    »Manchmal passiert ja auch etwas.«
    »Hier nicht.«
    »Außer Sie haben Besuch. Zum Beispiel vom Ehemann einer verschwundenen Frau.«
    »Zum Beispiel.« Romina sah eher belustigt als erschrocken aus.
    »Besucht er Sie öfters?«
    Die Malerin seufzte. Es klang weder kummervoll noch besorgt, sondern eher so, als sei Michael Sippmeyer ein unerwünschtes Thema, eines, das sie weniger berührte, als dass es ihr auf die Nerven ging.
    »Michael und ich haben eine Beziehung, ja. Eine Affäre, so sagt man wohl.«
    »Heißt das, er war an dem fraglichen Abend hier?«
    »Das heißt es, ja.« Die Stirn der Malerin wurde kraus, als sie sich vorbeugte, um eine Stelle auf ihrer Leinwand zu betrachten. Dann trat sie einige Schritte zurück und griff nach einem Pinsel. Jan verstand die Botschaft. Er störte.
    »Frau Schleheck, es geht hier keinesfalls nur um die verschwundene Margit Sippmeyer. Ich bin von der Mordkommission. Im Nachtigallental wurde eine Leiche gefunden.«
    »Ich weiß. Jeder hier im Ort weiß das. Leider muss ich trotzdem arbeiten.«
    »Dann verstehen Sie sicher, dass wir keinesfalls auf Ihre …«, das Wort tanzte ihm auf der Zunge, »… Arbeit Rücksicht nehmen können.«
    Das fordernde Klingeln eines Telefons drang aus dem Haus herüber, übertönte das Gebläse des Heizlüfters und unterbrach ihn. Romina warf einen unschlüssigen Blick auf Jan. Er lächelte. »Wollen Sie nicht drangehen?«
    Sie zögerte. »Einen Moment, bitte.«
    Ein letzter unschlüssiger Blick über die Schulter verriet, wie unwohl ihr bei dem Gedanken war, ihn hier allein zu lassen. Aber warum?
    Er

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