Nibelungenmord
Ringe? «, fragte er.
»Ich hab’s noch nie geguckt.«
»Was? Echt nicht?«
»Echt nicht.«
»Hat doch jeder!«
»Ich nicht. Sollen wir?«
»Cool«, sagte er. Dann angelte er nach dem Tabakbeutel und fischte einen letzten Krümel Haschisch heraus. Bevor Lara das erste Mal das Auenland sah, musste er unbedingt einen durchziehen. Als er ihren Blick spürte, hielt er in der Bewegung inne.
»Willst du auch?«, fragte er unsicher.
Sie nickte.
*
Lara lag auf seinem Bett, und ihr blondes Haar umfloss sie wie bei der Wasserleiche auf dem Bild. Wo hatte er das noch gesehen? Irgendein Plattencover von einer dänischen Newcomerband. Oder einer norwegischen.
Obwohl die Wasserleiche anders geguckt hatte. Eigentlich hatte sie gar nicht geguckt, sie hatte leer ausgesehen. Und Lara sah nicht leer aus. Nur traurig. Bestimmt dachte sie wieder an ihre Mutter. Trotzdem hatte der Film geholfen, eindeutig. Es gab keine Situation, die Der Herr der Ringe nicht retten konnte, davon war Sven überzeugt. Vor allem, wenn man so gutes Dope dabeihatte. Er selbst hatte die Geschichte um den Hobbit Frodo, der von seinem Onkel Bilbo den Ring erbt und mit diesem den langen und gefährlichen Weg nach Mordor auf sich nimmt, schon etwa hundertmal gesehen. Mindestens.
»Soll ich dir ein Geheimnis erzählen?«, fragte er.
Sie richtete sich auf und stützte das Kinn auf. »Klar.«
»Wenn ich traurig bin wegen meiner Mutter, dann denke ich an Bilbo und an seine Geburtstagsfeier. All diese Lampions und das Essen und die Musik. Alle sind fröhlich und feiern, und dann, wenn es am schönsten ist, streift Bilbo den Ring über den Finger und ist verschwunden. Klar, die anderen suchen ihn und machen sich Sorgen, aber das müssen sie nicht, denn er ist ja einfach nur unsichtbar und zieht jetzt los und macht das, was er will.« Er nahm den Joint aus dem Aschenbecher und betrachtete ihn, doch er war schon erloschen.
»Das ist schön«, sagte Lara weich.
»Ja«, sagte Sven. »Finde ich auch.« Er sagte ihr nicht, dass ihm danach unweigerlich einfiel, wie nachher die ganzen Orks kamen und so, und dass alle auf der Suche nach dem Ring waren und deswegen alles kaputt schlugen und mordeten. Ganz unvermittelt, ohne dass er es gemerkt hatte, war sein Gesicht nass, und er heulte.
Schon wieder. Hatte er ja vorgestern auch schon, am Rhein. Er hatte vorher lange nicht mehr geheult. Bestimmt seit zwei Jahren. Damals hatte er aufgehört, sich den Scheiß seiner Eltern reinzuziehen.
Irgendwie tat es gut, die Tränen fließen zu lassen.
Lara war nah an ihn herangerückt und drückte ihre Wange an sein nasses Gesicht.
»Sven«, sagte sie, und ihr süßer Atem traf ihn mitten ins Gesicht. Er wusste, gleich würde sie ihn noch mal küssen. Vorsichtig hob er die Hand und griff in ihre Wasserleichenhaare, die sich warm anfühlten und lebendig.
In diesem Augenblick flog die Tür auf. Im Nachhinein erinnerte sich Sven vage, ein Klopfen gehört zu haben. Sie stoben auseinander.
»Schönen guten Tag«, sagte der Kommissar. Es war der, der ihn schon einmal befragt hatte. »Wir stören doch nicht?«
»Doch«, sagte Sven, aber er hatte nicht den Eindruck, dass seine Antwort jemanden interessierte.
»Wir haben noch ein paar Fragen«, sagte der Kommissar.
»An mich?«
»Wenn wir Sie beide zusammen erwischen, umso besser«, sagte der Kommissar.
»Tja«, sagte Sven. Es war leer in seinem Kopf, und er überlegte, was die machen würden, wenn sie das mit dem Dope kapierten. Der Geruch hing schwer und süßlich in der Luft, und er hätte am liebsten ein Fenster geöffnet, aber das würde natürlich erst recht auffallen.
»Sie beide vermissen Ihre Mütter, da ist es doch klar, dass wir uns Gedanken über mögliche Verbindungen machen«, sagte die Frau und sah dabei nur Lara an.
»Klar«, sagte Lara.
»Was heißt ›klar‹?«
Lara sah verwirrt aus. »Das liegt doch auf der Hand.«
»Haben Sie denn schon überlegt, was für Verbindungen es da geben könnte?«
»Nicht wirklich.«
»Na, dann tun Sie es doch bitte mal.« Zuerst dachte Lara, das sei alles und die beiden würden jetzt wieder gehen, aber die Frau sah sie an und wartete auf eine Antwort.
»Ich habe keine Ahnung.«
Jan nutzte die Zeit, um sich ein wenig im Zimmer des Jungen umzusehen. Es sah aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Die Möbel der schicken Jugendzimmereinrichtung – Regale, Hochbett und ein Schreibtisch – waren alle in demselben silbrigen Grau, aber unter den Bergen von CDs,
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