Nibelungenmord
mir alles, was ich wissen muss, Romina.«
»Das tue ich«, sagte sie und legte entschlossen den Löffel hin. Sie würde das Getränk nicht anrühren. Sie würde keinen Kaffee trinken, weil er ihr nicht guttat, ebenso wenig wie gestern der Alkohol oder wie diese Zigarette. Sie würde zu ihrem früheren Leben zurückkehren. Ohne Fleisch. Ohne Stimulanzien. Ohne Männer. Sie würde meditieren und versuchen, ihre alte Kreativität wiederzuentdecken. Nicht das, was diese ungesunde Dreiecksgeschichte produziert hatte, auch wenn die Sachen gut waren und ihr immerhin einen Neustart verschaffen würden, Geld, Aufmerksamkeit. Sie würde eine Galerie finden und dann das malen, was sie wirklich wollte, das wusste sie plötzlich.
»Ich will dir nicht weh tun, und ich will dich nicht belügen, Michael. Ich mache mir Sorgen um Sven. Wir haben nicht viel geredet, wirklich nicht, aber ich merke, dass etwas mit ihm los ist. Er ist zerfressen.«
»Das ist kein Wunder, bei dem, was mit seiner Mutter passiert ist.«
»Ich glaube nicht, dass es bei Svens Problemen darum geht. Sie ist verschwunden, das ist schlimm, okay. Aber Sven ging es offenbar schon vorher nicht gut.«
»Trotzdem. Für ein Kind ist das unerträglich, nicht zu wissen, ob sie wiederkommt oder …«
Romina redete weiter, ohne ihn anzublicken. »Es hat nichts zu tun mit dem, was mit deiner Frau geschehen ist. Es ist das, was mit euch los war, mit dir und Margit, und das, was es in ihm ausgelöst hat. Ich frage mich, was aus einem Jungen werden soll, der seine Eltern so sehr hasst.«
Erst sah es aus, als wolle er sie schlagen, und sie zuckte zurück vor dem Ausdruck auf seinem Gesicht. In Zeitlupe erschienen Flecken auf Hals und Wangen, als zeige sein Körper an, wie sehr die Geschosse ihrer Worte ihn verwundeten.
Doch er schlug sie nicht. Seine sonst so starken Arme zitterten nur, er verschränkte sie hastig vor der Brust und hob die Schultern wie ein ratloses Kind.
»Was weißt du denn, Romina?«, sagte er schließlich leise. »Du hast kein Kind. Und du hast nie eins gehabt. Du weißt nichts von unserem Verhältnis. Sven liebt mich. Und er liebt auch seine Mutter. Wir sind schließlich seine Eltern.«
»Ich weiß«, sagte Romina. »Das macht es für ihn so schwer, diesen Hass auszuhalten.«
*
Lara heulte. Sie heulte zum vierten Mal, seit sie bei ihm war, und zweimal hatte sie sich dabei an ihn geschmiegt, so dass sein Hals ganz nass geworden war. Er hatte ihre Haare gerochen und sich überlegt, ob sie ihn wohl auch riechen konnte. Zum Glück hatte er heute ein frisches T-Shirt angezogen. Vielleicht sollte er das ab jetzt jeden Tag machen, nur für den Fall, dass er Lara im Arm halten würde. Immer, wenn Laras Tränenflut für einen Moment versiegte, redete sie.
Über ihre Mutter, wie sie damals im Urlaub ihr Portemonnaie verloren hatte.
Wie sie einmal nach Godesberg gefahren waren, um eine neue Winterjacke für Lara zu kaufen, und Lara hatte sich zwischen der weißen und der braunen nicht entscheiden können. Stundenlang waren sie herumgelaufen, und dann waren sie zu McDonald’s gegangen. Danach hatte die Mutter gesagt, dann solle Lara eben beide Jacken kaufen. Und in diesem Moment hatte Lara gewusst, dass sie die weiße wollte. Das sei doch komisch. Ob Sven das auch komisch finde.
Und dann das mit dem Frühstück. Klar, das sei manchmal nervig gewesen, aber eigentlich war es doch viel schöner, früh aufzustehen, als einfach nur herumzuhängen. Wie sie denn jetzt ohne ihre Mutter frühstücken solle. Das ginge doch nicht mehr.
Irgendwann merkte er, dass Lara verstummt war.
»Was ist?«, fragte er.
Ihre Nase war ganz rot, und ihre Augen waren verquollen. Sie hob zaghaft die Schultern und sah ihn an. »Es tut mir so leid, Sven. Ich quatsche dich die ganze Zeit voll, und dabei bist du bestimmt genauso fertig wie ich. Wegen deiner Mutter, meine ich.«
»Ist schon okay.«
»Ist es nicht. Ich höre jetzt auf mit dem Heulen, echt.«
»Musst du nicht.«
»Will ich aber.« Sie lachte ein bisschen, und dann schluchzte sie noch einmal auf und putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Was sollen wir denn machen? Computer spielen oder rausgehen?«
»Keine Ahnung.«
»Was hilft dir denn, wenn es dir richtig schlechtgeht?«
Sven sah sie an und überlegte, wann es ihm in letzter Zeit einmal NICHT richtig schlechtgegangen war. Nur wenn er mit ihr zusammen war. Sonst kiffte er. Aber das konnte er ihr wohl schlecht vorschlagen. Oder doch?
»Magst du Der Herr der
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