Nibelungenmord
zerknüllten Klamotten und Pizzakartons konnte man nur erahnen, dass dieses Zimmer einmal mit viel Geld und Geschmack eingerichtet worden war. An den Wänden hingen Poster von Fantasy-Filmen und Punkbands, und oben auf einer grauen Vitrine stand eine Wasserpfeife. Ein unangenehmes Aroma von ungewaschenen Socken und Rauch lag in der Luft. Kaum zu glauben, dass die Eltern dem Jungen eine solche Unordnung durchgehen ließen. Kaum zu glauben, dass so ein adrettes Mädchen wie Lara hier freiwillig herkam.
»Was haben denn Sie beide miteinander zu tun? Fangen wir doch damit mal an«, sagte Jan.
»Wir sind Freunde«, sagte Lara. Sie sah verwirrt aus, aber das war kein Wunder bei dem durchdringenden Geruch nach Marihuana, der sie umwehte.
»Freunde«, echote Sven. Er stand so dicht hinter Lara, dass es aussah, als habe er den Arm um sie gelegt, doch als sich das Mädchen bewegte, erkannte Jan, dass es nicht so war.
Teenagerliebe, dachte Jan und verspürte Erleichterung bei dem Gedanken, dass er wenigstens das hinter sich hatte.
Es dauerte ewig, bis die Bullen wieder verschwanden. Eigentlich war es gar nicht so schlecht gelaufen. Sven hatte im Blick des Typen gesehen, dass er sie für ein Paar hielt, und er verspürte Stolz darüber.
Lara wirkte etwas durcheinander, aber das lag an der Aufregung. Breit war sie nicht, wahrscheinlich war es ihr erster Joint gewesen, da wirkte das Zeug noch nicht. Zum Glück hatte er nicht viel geraucht. Die Bullen hatten es zwar gemerkt, doch nichts gesagt, klar, sie waren von der Mordkommission, da waren weiche Drogen wahrscheinlich nicht von Interesse.
Sven hatte sich nicht einmal besonders auf das konzentrieren müssen, was er sagte, und das war gut. Es wäre zu blöd, wenn ihm etwas entwischte, was sie nicht wissen durften.
»Sven, hör mir mal zu«, sagte Lara. Sie hatte sich wieder auf sein Bett gesetzt und strich sich die wuscheligen Haare aus dem Gesicht. Er selbst war es gewesen, der sie so in Unordnung gebracht hatte, und aus irgendeinem Grund machte ihn das glücklich.
»Ich will, dass wir was machen«, sagte sie.
»Was denn?« Seine Antwort kam automatisch, und erst als seine Worte schon draußen waren, hatte er ihre verstanden und erschrak.
Er hoffte sehr, dass sie nicht mehr wollte als ihn zu küssen.
Sie nahm ein Zopfgummi aus ihrer Hosentasche und band sich die Haare zurück. Als sie fertig war, blickte sie ihn an und ergriff seine Hand.
»Ich will, dass wir rausfinden, was mit unseren Müttern geschehen ist.«
»Was?«
»Wir werden den Mörder meiner Mutter finden. Und dann finden wir raus, wo deine ist. Irgendwie muss das doch zusammenhängen! Die Polizei kommt offenbar nicht weiter. Aber wenn wir uns zusammensetzen und nachdenken, kriegen wir raus, was passiert ist. Wir beide. Du und ich.«
Du und ich klang gut.
»Okay«, sagte er. »Und wie sollen wir das machen?«
*
Nirgendwo auf der Welt war es so schön wie in den eigenen vier Wänden, dachte Edith und sah sich zufrieden in ihrem Wohnzimmer um, während der Tee zog. Vier Minuten. Sie brauchte einen starken Tee nach dem Sherry von vorhin.
Die eigenen vier Wände. Eine einzige Nacht im Krankenhaus hatte gereicht, um ihr zu zeigen, wie viel ihr das bedeutete. Ihr geliebtes grünes Sofa. Ihr Fernseher. Das Tischchen daneben, auf dem immer ihre Zweitbrille lag, der Krimi, den sie gerade las, und ein Block und ein Stift, falls sie etwas notieren wollte. Ihre hübschen Spitzendeckchen und ihr schönes Geschirr mit den Blaublüten. Das war doch etwas anderes als diese klobige Krankenhauskeramik!
Als es an der Tür klingelte, überlegte sie kurz, ob sie heißes Wasser nachgießen sollte, damit der Tee für Jan reichte. Sie hatte heimlich gehofft, dass er früher nach Hause kam, aber dass er jetzt schon …
Endlich war sie an der Tür und drückte auf den Öffner.
Ihr Jan. Es ging doch nichts über das Verhältnis von Oma und Enkel, dachte sie. Henny und Gudrun hatten sich nie so um sie gekümmert wie Jan. Kalt wie eine Hundeschnauze waren ihre Töchter, hatte sie schon so manches Mal zu Herta gesagt. Hätte sie doch Kuchen aus dem Café mitgebracht! Der Junge aß so gern Kuchen. Schon als Kind hatte er sich über ihren Sandkuchen hergemacht, weil seine Mutter nie welchen buk. Ob sie noch schnell …
Knarrende Treppenstufen verrieten den nahenden Besucher, doch die Person, die da die Treppe heraufkam, war nicht Jan.
»Mein Name ist Scholz vom Gerlinde-Bauer-Haus«, sagte die blonde Frau und fletschte
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