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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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aber keiner weiß es richtig.«
    »Weißt du es denn?«
    »Ich hab so eine Theorie«, sagte Sven und kniff die Augen zusammen. »Aber die ist geheim.«
    »Okay.«
    »Sind echt krank, die Alten. Voll.«
    »Und wie geht es dir damit?«
    »Ich hab’s noch rechtzeitig geblickt«, sagte Sven und tippte sich an die Schläfe. »Und jetzt muss ich Sie leider rausschmeißen, meine Freundin kommt gleich zu Besuch.«
    Romina nickte. Sie wollte nichts mehr sagen, aber sie tat es trotzdem. Weil ihr die Situation plötzlich sonderbar vertraut vorkam, und weil sie wusste, dass sie Teil davon war, ob schuldig oder unschuldig. »Pass auf dich auf, Sven. Lass nicht zu, dass die Probleme deiner Eltern dein Leben bestimmen.«
    »Keine Sorge«, sagte Sven, und es klang beinahe, als verschlucke er ein Lachen. »Das hab ich schon geblickt. Die sind mir so scheißegal, die beiden, das können Sie sich gar nicht vorstellen.«
    *
    Es war unglaublich still im Nachtigallental.
    Nicht totenstill, sondern friedlich und sanft. Es war eine Stille, die Abwesenheit von Störgeräuschen bedeutete, von plappernden Menschen, lärmenden Autos, der Kakophonie der Zivilisation. Eine Stille, die Raum ließ für das leise Glucksen des Mennesbachs, den Wind, der den Buchen hoch oben durch die Wipfel strich, ehe er sich weiter unten im Tal bereitwillig schlucken ließ und verstummte. Und da war das kaum wahrnehmbare Gewimmel unzähliger unsichtbarer Waldbewohner, kleiner Tiere, die der Winter nicht hatte vertreiben können.
    All das hörte Jan jetzt, als er vor der Höhle stand und versuchte, sich das Absperrband wegzudenken und nur noch das zu sehen, was seine Großmutter ihm vor über zwanzig Jahren hatte zeigen wollen.
    Eine Drachenhöhle.
    Doch er sah den Schauplatz eines Verbrechens, sah das getrocknete Blut am Boden, das den gewaltsamen Tod von Valerie Koller bezeugte.
    Tod, dachte Jan. Vielleicht ist der Tod genau wie diese Stille. Das plötzliche Fehlen von Stimmen und allem, das ablenkt, so dass man endlich den Hintergrund hören kann, das, worauf es ankommt.
    Er wusste, Nicoletta hätte jetzt gelacht. Und er würde wer weiß was dafür geben, sich in diesem Moment auslachen zu lassen und dafür nicht allein hier zu stehen mit diesem blutverkrusteten Zeugnis von Tod und Zerstörung vor sich und seinen quälenden Gedanken und der Verantwortung.
    Normalerweise lachte er selbst am lautesten, wenn Leute herumphilosophierten. Aber normalerweise musste er sich auch nicht solche Gedanken machen wie heute, musste keine Entscheidungen fällen, die den Tod eines geliebten Menschen bedeuten mochten oder nur dessen Unglück.
    Denn darum ging es. Durfte er Ediths Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensabend nachgeben, oder handelte er dann grob fahrlässig? Konnte er über ihren Kopf hinweg entscheiden, was gut für sie war? Und war das gut für sie, was die Ärzte empfahlen?
    Und wenn er ihrem Wunsch nachgab, wie sollte er dann mit den Konsequenzen eines neuerlichen Unfalls leben, mit der Gewissheit, dass sein fehlendes Eingreifen ihren Tod verschuldet hatte? Und wie würde seine Mutter zu seiner Entscheidung stehen, wenn sie irgendwann ihr Projekt in Umbrien hinter sich gelassen hatte und wieder am Familienleben teilnahm? Es war so typisch für sie, sich jeder Verantwortung zu entziehen, keine Nummer zu hinterlassen, ein Handy zu verweigern. So wie sie ihn als kleinen Steppke mit seiner Großmutter alleingelassen hatte, so tat sie es auch jetzt. Nur das Betreuungsverhältnis hatte sich verändert. Früher war Edith für ihn verantwortlich gewesen, und jetzt war es umgekehrt.
    Er sehnte sich danach, Clara anzurufen und sich mit ihr zu beraten, und doch schreckte er davor zurück. Zu sehr klang ihm ihre spöttische Stimme in den Ohren: »Werde endlich erwachsen«, hatte sie gesagt. Er wollte ihrem Rat gern folgen. Aber konnte er das, wenn er sie jetzt anrief und um Hilfe bei seiner Entscheidung bat? Egal, wie zurückhaltend er seine empfundene Ratlosigkeit formulierte, sie würde ihm tatkräftig helfen, eine Entscheidung zu treffen. Das war einfach ihre Art. Er spürte bereits, wie bei dem bloßen Gedanken der quälende Druck der Verantwortung wich.
    Ein Ast brach mit lautem Knacken unter seinem Tritt, als er einen Satz machte und gebückt in die Höhle trat. Die Blutflecken auf dem Boden interessierten ihn nicht mehr. Er zog sein Schlüsselbund mit der winzigen Taschenlampe heraus und leuchtete die Wände an. Tausendfach glimmerte es ihm aus dem rauhen

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