Niccolòs Aufstieg
melden sollst. Das hätte ich fast vergessen.«
Die Bedienung stand wartend da, die Hand auf Claes’ Schulter. Sie hatte ihn schon gefragt, was er haben wollte, und er hatte es ihr wohl schon gesagt. Sie und Claes lächelten einander an. Ohne den Kopf zu drehen, sagte Claes: »Du hast vergessen, es mir auszurichten.«
»Nein«, widersprach Felix. »Ich habe es dir eben gesagt. Und du solltest dich besser beeilen. Sie ist ziemlich wütend.«
»Wenn ich mein Bier getrunken habe, ja?« sagte Claes schmeichelnd.
»Sofort«, entgegnete Felix scharf. »Sie bezahlt dich.«
Ein Chor von Stimmen forderte, ohne allzu großen Nachdruck, Verständnis für Claes. Felix blieb hart. Stirnrunzelnd schaute er sich um. »Er hat mir zu gehorchen.« Das war nicht zu bestreiten.
Mit einer Grimasse stand Claes auf und trottete in einer Haltung davon, die so sehr an Henning nach einer Pechsträhne beim Würfeln erinnerte, daß sie ihm alle hinterherpfiffen.
Draußen richtete er sich auf. Das Lächeln lag noch einen Moment auf seinen Lippen, wurde schwächer und schwand. Er machte sich ruhigen Schritts auf den Weg zurück zur Werkstatt und zu Marian de Charetty.
KAPITEL 16
Als Claes die Schenke verließ, bereute er, daß er am Morgen seinen warmen Umhang nicht mitgenommen hatte. Es war kalt. Kälter als in den Alpen, weil es viel feuchter war. Jetzt, auf dem Weg zur Färberei, bemerkte er die Kälte, gestern, als er seine Sendungen abgeliefert hatte, war es ihm in der Eile gar nicht aufgefallen.
Er war auch früher schon oft weggewesen. Alle paar Monate waren sie von Brügge nach Löwen aufgebrochen. Dann waren lange Wochen gefolgt, in denen er versuchte, Felix von Jagdgründen, Hundezwingern, Schenken und Bordellen wegzulocken, damit er seine Vorlesungen besuchte. Julius war dabei natürlich auch behilflich. Manchmal hatten die beiden damit Erfolg gehabt. Manchmal bekamen sie aber auch alle drei zusammen die vernünftige Welt der Erwachsenen satt und ließen sich auf eine Eskapade ein, die sie in Schwierigkeiten brachte. Jetzt war Julius bei Astorre. Und er selbst war nach drei Monaten wieder in Brügge. Nach einer Abwesenheit, die sich, jedenfalls was den Zeitraum betraf, nicht von den anderen unterschied. Eigentlich müßte alles genauso sein wie sonst.
Erst vor kurzem hatte es stark geschneit. Schmutzig gewordener Schnee lag auf Kellertreppen und am Wegesrand wie fleckige Hohlsaumstickerei. Wo das Flußwasser noch strömte, lag ein Spitzenkragen aus Eis an den gefrorenen Ufern. Wo das Wasser ruhig war, schwammen in der Mitte zusammengefrorene Eisschollen, die immer wieder aufgebrochen wurden, um den Weg für Kanalboote freizumachen. Die dumpfen Beilschläge der Eisbrecher waren den ganzen Tag zu hören. Dort war der Rand des Wassers dunkel und wegen der Wärme der Häuser nicht zugefroren. Katzen schlichen herum und belauerten apathische Fische. Und dort sah man auch wie jeden Winter ein steifgefrorenes Kinderkleid an einer am Kanalufer aufgestellten Stange hängen. Kinderkleider waren für manche Leute unerschwinglich, aber niemand nahm es weg - nicht, ehe die Eltern des ertrunkenen Kindes gefunden waren. Manchmal war es auch ein Säugling, doch dann hingen keine Kleider an der Stange.
Claes kam am Kran vorbei, der an diesem Morgen nicht in Betrieb war, und obwohl die Männer ihn trotz seiner blauen Jacke erkannten, ging er weiter und winkte ihnen nur entschuldigend zu. Es war nicht gut, die Demoiselle warten zu lassen. Das Tor der Färberei Charetty stand offen, doch wen auch immer die Witwe aus Löwen mitgebracht hatte, es war niemand zu sehen. Auf dem Hof sah Claes Männer, die er gestern bereits gesprochen hatte, aber sie blickten nicht auf. Es war wirklich merkwürdig, wie wenig Aufmerksamkeit sie ihm schenkten.
Im Haus dasselbe. Er sah die Köchin Vorbeigehen, sah nur kurz ihr Gesicht, dann eilte sie weiter. Ein schlechtes Zeichen. Nicht einmal Henning war da, um ihm zu sagen, wo er sich melden sollte.
Der gesunde Menschenverstand sagte ihm, daß sie ihn nicht in ihrem Wohnraum empfangen würde. Das Donnerwetter, oder was immer es war, erwartete ihn zweifellos in ihrem Arbeitszimmer. Er stand vor der Tür, hörte nichts und klopfte vorsichtig. »Demoiselle!« Hier genügte ein Wort, um sich zu erkennen zu geben.
Auch für Felix’ Mutter war ein Wort genug: »Herein!«
Er blickte auf die Klinke in seiner Hand. Dann drückte er sie sacht hinunter und ging hinein. Sie saß am Schreibtisch. Ihre Miene entsprach
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