Niccolòs Aufstieg
immer wieder verzaubern, selbst wenn der gesunde Menschenverstand ihnen längst riet, eine Familie zu gründen, um im Alter nicht allein dazustehen? In welchem Alter kommt ein Mann zur Besinnung und sieht ein, daß er Geborgenheit braucht? Manche Männer begreifen das vielleicht nie.
Ihr Haus war leer. Als Cornelis’ Ehefrau hätte sie seine Freunde bewirtet, während die Jüngeren in Karnevalskostümen ausgegangen und nachts ihren Vergnügen nachgegangen wären. Als Witwe hatte sie schon öfter die Gastfreundschaft der anderen Färber angenommen, doch an diesem Abend wollte sie keine Besuche bei der älteren Generation, Cornelis’ Generation, machen, die nicht die ihre war. Sie wollte sich aber auch nicht unter die Menge auf dem Marktplatz mischen, unter all die Liebespaare, für die sie nur eine Mutter, eine Witwe, eine Anstandsdame war. Doch allein zu Hause zu bleiben war auch nicht schön.
Deshalb war sie überrascht und erfreut, als ein, zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit ein Diener der Adornes zu ihr kam mit der Einladung, den Abend im Hotel Jerusalem zu verbringen. Die jungen Leute seien alle ausgegangen, und die Demoiselle Margriet habe gedacht, sie sei vielleicht allein und könne bei ihnen bleiben, bis ihre Töchter zurückkämen, Oder auch bei ihnen übernachten, wenn sie wolle.
Sie bat den Diener zu warten, machte sich rasch zurecht, schloß die Türen ab und überließ das Haus ihrem Pförtner. Sie trat hinaus auf die vertraute Straße und sah sich einen Moment lang um. Der Diener der Adornes blieb mit der Fackel in der Hand gehorsam stehen. Heute abend war gar kein Licht nötig. Der Schnee glitzerte auf den Dächern, pfirsichfarben und rosa und lila und blattgrün gefärbt von den Papierlaternen, die sich wie Vogelschwärme in allen Straßen um Fenster, Türen, Mauern und Kragsteine scharten.
Heute abend brannten alle Torlampen, und die Ecknischen mit ihren Heiligenstatuen leuchteten strahlend. Und das taten auch alle Kirchtürme, die sich als funkelnde Silhouette von dem schwarzen, kalten Himmel abhoben. Selbst hier, abseits der Stadtmitte, wimmelte die Straße von Leuten mit rosigen Wangen in dicken Mänteln, und von irgendwoher war Musik zu hören.
Marian de Charetty eilte davon. Der Abend, der so gar nichts versprochen hatte, versprach jetzt Geselligkeit. Wenn nicht noch mehr.
Unter demselben zauberhaften Himmel unterhielt der ehemalige Lehrling Claes gekonnt eine Anzahl Jugendlicher, deren Aufpasser sich weniger gut mit Kindern auskannten als er. Wenigstens kam ihm ihr ungetrübtes Entzücken über all die Laternen zugute. Sie schlenderten durch die Stadt und richteten den Blick in die Höhe. Vom höchsten Punkt jeder Bogenbrücke mit ihren bemalten Statuen, ihren mehrarmigen Leuchtern und ihren immergrünen Pflanzen blickten sie in ein vom Wasser reflektiertes Märchenland. Die Kanäle glitzerten wie Bänder von Rauschgold, und der Lichtschein spiegelte sich in den strahlenden Gesichtern.
Und nach dem Zauber der Lichter kam die Begeisterung auf dem Marktplatz, wo es viel aufregender war als bei der Lotterieziehung und wo die Buden, alle von Wachskerzen erhellt, wunderbare Dinge anboten - Früchte und kandierte Mandeln und Nüsse und Feigen und Rosinen. Überall auf dem Platz und auf dem Dach des Waterhuis und der alten Markthalle waren Fahnen gehißt, alle von Laternen beleuchtet.
Da waren so viele Lichter und so viele Menschen, daß man die Kälte nicht spürte, doch für alle Fälle standen Kohlenpfannen an den Straßenecken, und an einigen Buden gab es heiße Getränke und Suppe; und da standen auch drei Männer mit einem Ofen auf Rädern, in den sie an einer Seite Teig schoben und an der anderen Seite mit höllischer Geschwindigkeit heiße Pasteten herausholten, während ihre Kunden Schulter an Schulter um sie herumstanden, schmatzten und redeten mit roten Gesichtern.
Auch am anderen Ende des Platzes standen Kohlenpfannen, oben auf der Tribüne, die jetzt freigeräumt war für die Stadtmusikanten mit ihren Trompeten und Flöten und Trommeln und Pauken und Fiedeln und für die Stadtsänger, die die von ihren Hüten herabhängenden Tücher um ihre Kehlen gewickelt hatten. Sie sangen keine Schenkenlieder, aber als die Trommeln und Fiedeln in Schwung kamen, begannen die Kinder danach zu hüpfen, dann kamen ältere Leute hinzu, und schließlich bildete sich irgendwo ein Kreis zu einem Tanz, der sich aber wieder auflöste, weil es noch früh war und alles noch anständig
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