Niccolòs Aufstieg
Jacopo Strozzi hier in Brügge starb, würde Lorenzo, der Sohn eines Verwandten, ihn dann beerben? Nein, das Geschäft würde dem Bruder in Neapel zufallen. Und der Bruder in Neapel könnte, wenn er Lorenzo so anschaute - siebenundzwanzig Jahre alt und geldgierig -, im eigenen Interesse lieber einen anderen Geschäftsführer einstellen und Lorenzo weiterhin so wichtige Angelegenheiten der Medici übertragen wie jene mit dem Vogel Strauß.
Als Lorenzo seinen Bericht beendet hatte, lächelte Marian de Charetty. »Und ich bin überzeugt, Ihr habt eine Dame für heute abend. Felix hat mir erzählt, er sei versorgt, allerdings hat er den Namen des Mädchens nicht erwähnt.«
»Wir gehen mit Claes aus«, sagte Catherine, den Mund voll Pfefferkuchen.
Für Lorenzo waren Kinder ein Buch mit sieben Siegeln. Zweifellos fielen ihm in diesem Moment einige hitzige Wortgefechte in der Schenke ein, denn er errötete. »Ja, ich habe davon gehört.«
Das amüsierte Marian. »Vermutlich von Felix arrangiert«, sagte sie, ohne nachzudenken, und fing einen empörten Blick von Tilde auf. »Eigentlich sind sie zu der Adorne-Gesellschaft eingeladen worden, die allen sehr gefallen wird. Ach, wäre man noch einmal dreizehn!«
»Man müßte immer dreizehn bleiben können«, erwiderte Lorenzo.
Darauf wußte sie nichts zu erwidern, und sie ließ ihn gehen, als er sich verbeugte und zu seinen Gefährten zurückkehrte.
Als es am Nachmittag kälter wurde, ging sie mit den Mädchen nach Hause, damit sie sich ausruhten, etwas aßen und dann ihre Kleider in Ordnung brachten, die langen Haare kämmten und sich ihre kostbaren Hauben aufsetzten. Tilde hatte eine rote und Catherine eine blaue. Die Samtflügel reichten fast bis an die Schultern und verliehen den Gesichtern der Kinder eine bezaubernde Reinheit; und der hinten herabfallende, von Goldfäden durchwirkte Schleier betonte die kindlichen Schultern. Die enganliegenden Kleider mit viereckigem Ausschnitt waren aus Samt und an den engen Manschetten mit Hermelin besetzt. Die Familie Adorne brauchte sich ihrer Gäste nicht zu schämen.
Zwölf und dreizehn waren die Mädchen; keine Kinder mehr, dachte Marian de Charetty. Der empörte Blick der sanften Tilde hatte sie daran erinnert. Sie verstand nur zu gut, warum Felix die Begleitung der Mädchen auf Claes abgeschoben hatte. So etwas hatte er früher schon getan, aber Claes war durchaus imstande, sich dem zu entziehen. Sie glaubte nicht, daß sich Claes über Tildes Gefühle nicht im klaren war. Besser als die meisten Menschen vermochte er sich in andere hineinzuversetzen. Tilde war es, die von der offenen Truhe in Claes’ Zimmer erzählt hatte und daß sie darin einen vergoldeten Apfel gesehen habe, der als Handschmeichler gedacht war. Ein Mitbringsel aus Mailand. Aber für wen?
Der vergoldete Apfel war nicht verschenkt worden, zumindest nicht in diesem Haus; und sie befürchtete auch zu wissen warum. Aus demselben Grund, warum es für Claes so günstig war, diesen langerwarteten Karnevalsabend unverfänglich mit ihren Töchtern zu verbringen. Als er sie abholte, war er äußerst vergnügt, die Gesichtszüge um die scheußliche Narbe heiter, die blaue Hose, das Wams und die Jacke ordentlich und einen von Felix’ Hermelinschwänzen an der Mütze.
Abgesehen von dieser strapazierfähigen Tracht besaß er, soweit sie wußte, keine neuen Kleider und hatte sich nur eine gute Geldtasche und Reitschuhe gekauft. Für seine Freunde war er der alte Claes, der wandelnde Lumpensack. Marian de Charetty sah darin eine bewußte Entscheidung, er wollte nicht auffallen, wollte seine Zugehörigkeit zur alten Gruppe demonstrieren. Sie konnte sich Felix’ Reaktion gut vorstellen, wenn Claes bei seiner Rückkehr nach der neuesten Mailänder Mode gekleidet gewesen wäre.
Ob sich Claes überhaupt nach derlei Dingen sehnte? Sie kam zu dem Schluß, daß er es nicht tat. Oder jedenfalls bislang nicht.
Und wenn, dann würde zweifellos eine Frau dahinterstecken. Die kleine Mabelie war jetzt mit John Bonkle befreundet - das hatte Felix verraten. Und Felix selbst, da war sie ziemlich sicher, hatte ein Mädchen derselben Art gefunden. Damit konnte sie sich nicht befassen. Julius, der in vielen Dingen so tüchtig war, hatte sie in dieser Hinsicht im Stich gelassen. Und es war eines der wenigen Gebiete, wo Felix’ Stolz es nicht zuließ, daß er von Claes lernte.
Entwachsen Jugendliche flüchtigen Leidenschaften irgendwann? Würde das hübsche Gesicht am Wegesrand sie
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