Niccolòs Aufstieg
ich«, erwiderte Claes ruhig, »befehle ihm zu bleiben, sonst wird Euer Vater von mir etwas zu hören bekommen. Woher kommen dieser Umhang und die Maske?«
»Die habe ich geliehen.« Trotzig hob sie das Kinn, was ihr Aussehen ein wenig verbesserte.
»Davon bin ich überzeugt. Und wenn Ihr sie rechtzeitig zurückbringt, wird vielleicht niemand etwas sagen. Ich mache Euch ein Angebot. Zehn Minuten hier beim Seiltanz. Zehn Minuten Tanz mit einigen meiner Freunde. Zehn Minuten für das Feuerwerk und das Karnevalsfeuer. Und dann werden unser Freund hier und ich Euch nach Hause zu Eurer Schwester bringen.«
»Ich wohne nicht mit Katelina zusammen. Ich wohne zur Zeit bei der Familie de Veere, wo Charles ist. Willst du wissen warum?«
Sie war nicht so übel, die kleine. Unerwartet blitzte die Hoffnung auf, daß er am Ende, wenn dies alles vorbei war, vielleicht ein, zwei Stunden für sich haben würde, die er verbringen konnte, wie und mit wem er wollte.
Geduldig hörte er sich die Mitteilung an, die sie ihm aufdrängte, und fand sie fast genauso interessant wie Gelis.
KAPITEL 19
Als die Kinder nach Hause gebracht wurden, zeigten sich die ersten Masken auf den Straßen. Neben einfachem Barchent sah man nun immer häufiger schweren pelzverbrämten Samt und darunter den flüchtigen Schimmer von perlenbestickten Ärmeln, goldenen Fransen und Seidenbrokat. An Filzkappen, einfachen Kapuzen und weißen Hauben drängten sich ein Vogel Greif, ein Hofnarr, ein Adler vorbei. Ein Einhorn mochte sich herumdrehen und einen hübschen Fuß bewundern, ein Schiff unter vollen Segeln lachend vorüberziehen, ein Ziegenbock oder ein Kaiser im Prunkgewand stehenbleiben und eine Münze für ein Stück Zuckerwerk hinwerfen.
Katelina van Borselen war noch zu Hause. Der Umhang, den sie tragen wollte, lag auf dem Tisch vor dem großen Fenster im Haus ihrer Eltern. Ab und zu trat sie an dieses Fenster und sah nach, ob die drei von ihrer Mutter ausgewählten Freier schon warteten. Das Haus war leer bis auf die Pförtner, die zum Schutz geblieben waren, denn die anderen Dienstboten hatten entweder Ausgang oder waren mit ihren Eltern bei der Familie de Veere. Und natürlich waren die Pförtner auch zu ihrem Schutz da, falls ihre Begleiter sie versetzen oder sich als unliebsam erweisen sollten. Oder falls (was auch schon vorgekommen war) ein Verehrer mit dem anderen in Streit geriet und sie am Ende allein dasaß.
Gewöhnlich jedoch passierte nichts Unerfreuliches. Der Bewerber überreichte sein Pergamentröllchen und wurde empfangen oder höflich abgewiesen. Da er hinter der Maske unerkannt blieb, lief er keine Gefahr, vor einem Nebenbuhler das Gesicht zu verlieren. Es sei denn, er war so sehr von sich überzeugt, daß er sich von Fackelträgern und Dienern in der Tracht seines Hauses begleiten ließ. Was Guildolf von Gruuthuse getan hatte, wie sie feststellte, als sie wieder aus dem Fenster schaute.
Sie hatte ihn nicht kommen sehen. Er wartete unter dem Dachvorsprung des Hauses gegenüber, ohne Umhang, das Gesicht unter dem dichten Fell eines prächtigen Leopardenkopfs mit dunklen Augenhöhlen und weißen Fangzähnen verborgen. Im Lichtschein konnte Katelina ein kurzes Gewand mit pelzbesetztem Saum erkennen und unverhüllt darunter die Konturen der lässig gestellten Beine, die in Hosen steckten. Die eine behandschuhte Hand hatte Guildolf in die Hüfte gestemmt, in der anderen, auf die das Licht fiel, hielt er das Karnevalsröllchen. Und hinter ihm standen sechs Diener in Tracht mit dem Gruuthuse- Wappen, der Kanone. Einer von ihnen trug, als hielte er eine Katze beim Schwanz gepackt, eine mit bunten Bändern geschmückte Laute.
Vermutlich war er gerade erst gekommen; die jungen Leute, die ihn begleitet hatten, waren noch zu sehen, ihr Gelächter und ihr Rufen noch zu hören. Während sie hinausschaute, zogen andere Masken vorüber, scherzhafte Bemerkungen flogen hin und her. Das war ganz normal. Sobald sie erschien, würde er sich besinnen. Sie sollte hinuntergehen. Aber zuerst sollte sie sich vergewissern, daß keine anderen Bewerber da waren (war das überhaupt wahrscheinlich?). Sehr vorsichtig schaute sie noch einmal aus dem Fenster.
Doch, da war tatsächlich ein zweiter Bewerber. Der Mann, größer und breiter als Guildolf, wartete mit dem Röllchen in der Hand ruhig vor dem Hoftor, Er war allein, keine Diener, keine äußeren Zeichen, die verraten hätten, wer er war. Seine Gestalt verhüllte vom Hals bis zu den Füßen ein Umhang, und
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