Niccolòs Aufstieg
von der Maske, die er trug, konnte sie im unsicheren Licht wenig ausmachen. Sie schien ganz aus Federn zu bestehen.
Einen Moment zögerte Katelina noch. Dann ergriff sie ihren Umhang und ging langsam die Treppe hinunter und über den Hof, wo sie mit einem der Pförtner sprach. Er öffnete das Tor, und sie trat auf die Straße hinaus.
Der große, kräftige Mann im Umhang stand ihr am nächsten, aber der Anstand verlangte, daß sie beide Männer begrüßte. Sie wandte sich also dem auf der anderen Straßenseite wartenden Leoparden zu und knickste höflich, bevor sie sich zu dem namenlosen Verehrer am Tor herumdrehte. Noch einmal knickste sie betont förmlich, dann hob sie die Hand, um sein Pergamentröllchen entgegenzunehmen.
Er kniete nieder, als er es ihr überreichte. Im Licht sah sie, daß er eine Eulenmaske trug. Sie wunderte sich, als sie auf dem Pergament den Namen eines Freiers aus Kortrijk las; sie hatte den Mann für wesentlich kleiner gehalten. Drüben, auf der anderen Straßenseite, hatte Guildolf von Gruuthuse sich in Bewegung gesetzt und eilte ihr mit schwungvollem Schritt über das Kopfsteinpflaster entgegen.
Gut. Weitere Bewerber gab es nicht. Sie mußte zwischen dem Raubtier und dem Vogel wählen. Der Vogel, der sich wieder erhoben hatte, lachte leise. Obwohl es den Freiern verboten war, zu sprechen, sagte er in weichem Flämisch mit kaum wahrnehmbarem französischen Einschlag: »Wählt ihn, wenn Ihr wollt, aber er schlägt die Laute wie ein Fleischhauer und drückt sich jeden Morgen bei Tisch die Eiterbeulen aus. Darum der Leopard. Wenn er die Maske abnimmt, ahnt Ihr bereits, was Euch erwartet. Den Rest spart er sich für die erste Nacht auf.«
Ihr wurde fast übel. Es kostete sie solche Anstrengung, ihren Ekel zu beherrschen, daß ihre Augen tränten. Die wohlgeformten Beine und das Leopardenhaupt kamen näher. Der Reichtum der Familie Gruuthuse. Zwanzig Jahre lang eine Schwangerschaft nach der anderen. Eiterbeulen.
Wieder knickste sie vor Guildolf von Gruuthuse und legte dann das Röllchen behutsam in seine Hand zurück. »Mein Herr, es ist mir eine Ehre, aber ein anderer ist Euch zuvorgekommen. Gott gewähre Euch einen schönen Abend und eine glückliche Nacht. Mögen wir eines Tages in Freundschaft ein Glas miteinander trinken.«
Er war aufs höchste bestürzt. Es war unwahrscheinlich, dachte sie bei seinem Anblick, daß er je wieder mit ihr oder Angehörigen ihrer Familie das Glas erheben würde. Hoffentlich würde ihre Mutter, die das Unheil angerichtet hatte, es mit ebenso leichter Hand wiedergutmachen können; doch das müßte eigentlich möglich sein. Diese drei Einladungen hatte schließlich ihre Mutter ausgesprochen. Ihr mußte klar gewesen sein, daß es Enttäuschungen geben würde. Daß es vielleicht gleich drei geben würde, hatte sie natürlich nicht bedacht.
Aber das interessierte Katelina nicht weiter. Sie war in erster Linie daran interessiert, daß der Abend für sie selbst nicht zur Enttäuschung werden würde. Noch einmal knickste sie, worauf der junge Gruuthuse sich knapp verbeugte und davonging. Seine Leute folgten, mit offenen Mündern. Der Mann mit der Laute machte hinter dem Rücken seines Herrn eine anzügliche Bewegung mit dem Instrument. Katelina wollte ihren Augen nicht trauen, doch ein leises Lachen unter der Eulenmaske sagte ihr, daß ihr Freier es auch gesehen hatte. Schlagartig wurde ihr klar, daß sie sich für einen vulgären Mann entschieden hatte.
Vielleicht beobachtete er, was in ihr vorging. Jedenfalls verneigte er sich mit großer Geste, bot ihr den Arm, legte seine Hand auf die ihre und führte sie im Gefolge der prächtig gekleideten Höflinge die Straße entlang.
Der erste offene Hof, den sie erreichten, gehörte zum Haus des herzoglichen Schatzmeisters. Am Karnevalsabend genügten den Adligen Gewänder, Masken und Schmuck, um Zutritt zu erlangen. Sie traten durch den Torbogen in den von Laternen beleuchteten Garten, wo der rote Schein der Kohlepfannen den Wein erglühen ließ. Die Klänge von Flöten, Geigen und Violen von einem Turm herab mischten sich in das Stimmengewirr, das eifrig von einer kleinen Trommel untermalt wurde.
Menschen kamen, wanderten umher und gingen wieder. Einmal zog eine Arkade aus Tänzern, die einander an den hocherhobenen Händen hielten, unter den Bäumen hindurch. Ihre weiten Ärmel wehten unter den geheimnisvollsten Masken, die wie phantastische Ornamente jede Gestalt krönten. Der Kopfputz der Frauen leuchtete in der
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