Niccolòs Aufstieg
denen die Farbe noch feucht war.
Marian de Charetty hatte schon lange aufgehört, sich wegen dieses Unfugs zu sorgen, sie sah die Sache mit Gelassenheit. Die Burschen waren alt genug, um sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, und sie vertraute darauf, daß Claes ihren Sohn und sich selbst vor ernstem Schaden bewahren würde. Durch die Glasrauten ihres Fensters sah sie das vor Aufregung glühende Gesicht ihres Sohnes und Claes, der mit donnerndem Tonfall und dröhnendem Schritt daherstampfte wie der leibhaftige Astorre in seinen leidenschaftlichsten Momenten. Die anderen, Bonkle, Sersanders, Cant und der junge Adorne, lachten sich halb tot. Und Claes selbst war völlig unbeschwert.
Vier Stunden später kamen sie zurück, und es war alles in Ordnung bis auf Sersanders’ verstauchtes Handgelenk und eine Rechnung für drei Schweine, die Felix verscheucht und mit seiner Lanze abgestochen hatte, als sie sich auf den Turnierplatz verirrt und sein Pferd erschreckt hatten. Auf dem Heimweg hatten sie haltgemacht, um sich in der Pracht ihrer Rüstungen zu zeigen und auf den Erfolg des Turniers zu trinken. Das schloß Marian de Charetty aus dem unharmonischen Klappern und Klirren, das Claes die Treppe hinauf begleitete. Er hämmerte gegen ihre Tür und entschuldigte sich dann dafür, daß er die Panzerhandschuhe noch trug. Sie hätten gewettet, daß er nicht aus einem Glas trinken könne, ohne sie auszuziehen, erklärte er, hochrot im Gesicht.
»Wenn du dich setzen mußt, nimm den Stuhl da. Ich glaube, der hält am meisten aus. Es ist also alles gutgegangen?«
Er setzte sich klirrend und sah sie strahlend an. »Das kann man wohl sagen. Selten so gelacht… Ja, es ist alles glattgegangen. Das heißt, bis auf die Schweine. Wir - das muß ich Euch erzählen.« Er erzählte von den Schweinen, aber sie blieb hart und lächelte nicht. Sein Gesicht war feucht von Schweiß und Lachtränen, und er konnte es nicht abwischen, weil es ihm nicht gelang, die Panzerhandschuhe auszuziehen; und ihr fiel es nicht ein, ihm zu helfen. Aber das störte ihn offenbar nicht.
»Es freut mich, daß du dich so gut amüsiert hast. Es war sicher interessanter, als in der Färberei zu stehen und dir dein Brot zu verdienen.«
Er horchte sofort auf. »Demoiselle? Verzeiht.«
Wäre sie so aufrichtig gewesen wie er, hätte sie vorwurfsvoll gefragt: Warum bist du immer so glücklich und zufrieden? Statt dessen sagte sie: »Und was ist mit Felix? Das war doch wohl der Zweck der Übung.«
»Er ist ein vielversprechender Kämpfer und sehr mutig. Ja, äußerst mutig.«
»Aber nicht geübt genug für das Turnier des Weißen Bären?«
»Nein, bei weitem nicht. Noch nicht. Und eben weil er so mutig ist, will er seine Schwächen nicht sehen. Er neigt zur Waghalsigkeit, und die wird ihn in Gefahr bringen. Er darf auf keinen Fall an dem Osterturnier teilnehmen. Das muß verhindert werden. Mit allen Mitteln.«
Sie schwieg, während sie sich vorzustellen versuchte, wie sie Felix gerade das verbieten sollte, woran sein Herz hing. »Wie groß wäre denn die Gefahr?« fragte sie schließlich. »Stumpfe Schwerter, stumpfe Lanzen …«
»Sterben kann man trotzdem dabei. Und nicht immer sind es Unglücksfälle. Nehmt an, jemand wollte Euch geschäftlich zugrunde richten.«
Sie starrte ihn an. Dann stand sie auf und kam um den Schreibtisch herum. »Zieh endlich diese Handschuhe aus«, sagte sie gereizt. »Felix ist ja wohl kaum das Rückgrat des Unternehmens.« Sie riß an einem Handschuh, daß es schepperte. »Und wer würde überhaupt so weit gehen?«
»Felix ist der Erbe.« Er hielt ihr den zweiten Handschuh hin und sah auf das Tuch, das sie ihm anbot. »Das ist schon das zweite Mal, daß Ihr mir mit einem Taschentuch aushelfen müßt.« Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Übrigens, Ihr werdet Euch erinnern, daß einige deutliche Drohungen ausgesprochen worden sind.«
Einen Handschuh in jeder Hand, blieb sie vor ihm stehen. »Jordan de Ribérac?«
Claes senkte den Blick zum Tuch. »Ich hatte neulich einen Zusammenstoß mit zwei seiner Männer. Sehr unerfreulich. Und denkt jetzt nicht an eine amtliche Anzeige. Es läßt sich nichts beweisen. Er ist mittlerweile ohnehin wieder in Frankreich. Aber mir gibt das alles zu denken. Wie war das zum Beispiel mit der Explosion in der Färberei?«
Sie setzte sich wieder. Die Handschuhe auf dem Schoß, sah sie ihn aufmerksam an.
»Ich bin überzeugt, daß das kein Unfall war«, fuhr er fort. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher