Niccolòs Aufstieg
Füße steckten in ausgebeulten und vielgeflickten Stiefeln. Er trug bäuerliche Kleidung, eine Filzkappe und einen kurzen Kittel, dessen Ärmel aufgekrempelt waren. Mit knolligem, zahnlosem Gesicht sah er zu Claes hinunter.
»So, so«, sagte er. »Schau an! Der neue Falke hat einen Sattel runtergeholt.« Er hob das Kinn von den gefalteten Händen und blickte, sich langsam aufrichtend, mit triefenden Augen zum Himmel hinauf.
Claes blieb sitzen. »Vielleicht bringt er als nächstes das Pferd dazu. Da sollte man sich lieber in acht nehmen.«
Die Hacke zitterte ein wenig. Der zahnlose Mund öffnete sich zuckend, Speichel sprühte. »Würd mich nicht wundern, wenn er als nächstes einen Burschen runterholt«, sagte der Alte. »Du holst dir den Tod da auf der Wiese. Auf einer fremden Wiese. Erst letzte Woche hab ich einen Kerl an dem Baum da aufgeknüpft.«
»Ich habe mich schon gefragt, was du hier anpflanzt.«
Sonnenlicht blitzte in einem Speicheltropfen. »Na, hast du Hunger?« fragte der Alte.
Claes warf den Kopf zurück und lachte. Wenn es erleichtert klang, störte ihn das nicht. Es war ja Erleichterung. »Ich habe immer Hunger.«
»Klar, so ein großer Bursche wie du. Euch braucht man nur in der Erntezeit zuzuschauen. Ihr fahrt abends beim Essen mehr ein, als die ganze Ernte wert ist. Sie sind da drüben. Ich muß dir dein Schwert und den Dolch abnehmen.«
Claes sah ihn lächelnd an, »Und wo finde ich sie wieder?«
Die stoppeligen Wangen glitzerten. »Wenn du zurückommst, liegen sie unter der Hacke.«
»Und mein Sattel?«
Der Alte ließ die Hacke fallen. Als er sich herumdrehte, konnte man das Jagdmesser an seiner Hüfte sehen. Die zweischneidige Klinge sah ganz neu aus. Er rieb sich den Schmutz von den Händen und wischte sie an seinem Kittel ab, während er darauf wartete, daß Claes aufstand. »Du brauchst ein Pferd, wenn der Sattel dir nützen soll. Übrigens ist der Gurt gerissen.«
Der Gurt war, wie Claes bereits bemerkt hatte, durchtrennt worden. Aber er widersprach nicht, sondern stand auf, nahm sein wenig eindrucksvolles Schwert und sein Messer ab und legte beides neben die Hacke. Als er sich aufrichtete, traf ihn der wäßrige Blick zusammen mit einem scharfen Geruch von Schweiß und ungewaschener Wäsche.
»Geh am Bach entlang bis zu den Bäumen«, sagte der Alte. »Laß es dir schmecken, Bursche. Laß es dir schmecken. Du mußt hungrig sein.«
Ludwig, Dauphin von Frankreich, speiste im Freien. Unter den Bäumen am Bach war aus dem Holz des letzten Jahrs eine Jagdhütte mit zwei kleinen Räumen errichtet worden, in der sich gegenwärtig jedoch niemand aufhielt. Die kleine Gesellschaft lagerte mit Weidenkörben und jeder Menge Krügen draußen vor dem Häuschen im Gras. Das Klirren von Zaumzeug verriet, wo die Pferde zum Grasen festgemacht waren.
Die Männer waren alle schlicht gekleidet, doch am Tuch ihrer Jagdtracht und an der Qualität ihrer Gürtel, Stiefel und Sporen war zu erkennen, daß sie keine Dienstboten waren, auch wenn sie ihrerseits nicht bedient wurden.
Einzige Ausnahme war der Mann, der der Hütte am nächsten saß. Den bedienten seine Begleiter, und stets mit gebeugtem Knie. Dieser Mann drehte nicht einmal den Kopf, als Claes sich der Gruppe näherte, und auch die anderen kümmerten sich nicht, nur einer stand auf und ging ihm entgegen. Claes kannte niemanden, aber er wußte, daß der Mann vor der Hütte der Dauphin war und diese Männer seine Vertrauten. Folglich der Bastard von Armagnac; und der Herr von Montauban. Jean d’Estuer vielleicht, Herr von La Barde. Jean Bourré, der Sekretär. Und ein Mann aus dem Adel, ein ausgebildeter Soldat, der dem Dauphin als Leibgarde diente .., wohl der Mann, der sich jetzt näherte und bei genauerem Hinsehen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit jenem aufwies, dem Claes zum ersten Mal in den schneebedeckten Bergen Savoyens begegnet war.
»Monsieur Raymond du Lyon?« fragte er. »Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Monsieur Nicholas«, erwiderte der andere. Das Haar unter der Hutkrempe war dunkel wie das seines Bruders Gaston. Er hatte die Schultern eines Turnierkämpfers, und beim Lächeln zeigte er drei abgebrochene Zähne. »Ich hoffe, Ihr habt keinen Schaden genommen durch die kleine List, die wir angewandt haben, um Euch von den anderen zu trennen. Wir haben uns wirklich bemüht, uns etwas Sanfteres einfallen zu lassen.«
»Ich bin mit dieser Art bestens vertraut«,
Weitere Kostenlose Bücher