Niccolòs Aufstieg
deshalb brauchte sie einen reichen und einflußreichen Liebhaber, und zwar möglichst schnell. Oder natürlich einen Ehemann.
Es war ein reicher und einflußreicher Liebhaber in der Nähe. Sie hatte den Wunsch ihres Vaters erraten, daß sie eines Tages die verheiratete oder unverheiratete Mutter eines burgundischen Prinzen sein möge. Er würde an einer Liaison mit einem lasterhaften Herzog, der schon über eine ständige Mätresse verfügte nichts auszusetzen haben. Nur daß sich ein Liebhaber edler Herkunft kaum sonderlich geschmeichelt fühlen würde, wenn schon nach sieben Monaten oder eher ein Sohn oder eine Tochter das Licht der Welt erblickte. Schon aus Erfahrung wäre er wenig geneigt, dieses Kind anzuerkennen und standesgemäß aufziehen zu lassen. Ein vertraglich gebundener Ehemann würde hingegen eher den Kalender außer acht lassen und sich lieber glücklich zeigen über den so schnell gezeugten Erben, als vor der Welt als Trottel dazustehen.
Sie hatte einen Ehemann gewollt. Sie hatte gehofft, sich hier in der Bretagne entscheiden zu können, frei vom Druck der Familie. Und den hatte sie wirklich nicht zu spüren bekommen. Seit sie im April abgereist war, hatte sie noch keinen einzigen Brief erhalten. In den ersten Wochen, bevor sie um ihren Zustand wußte, hatte sie ihr so vorhersehbares Leben durchaus genossen: der anspruchslosen Herzoginwitwe Gesellschaft geleistet, sich mit den Dramen und Akteuren eines neuen Hofs vertraut gemacht, sich ihre eigene Rolle darin gesucht. Sie lernte, dem Herzog aus dem Weg zu gehen und sich mit seiner Mätresse anzufreunden. So hatte sie den ersten Besuch von Jordan de Ribérac als doppelt unangenehm empfunden.
Hinterher war sie froh, daß sie wenigstens noch nichts von ihrem Zustand geahnt hatte. Sie war völlig unvorbereitet, als er an einem Aprilmorgen das Audienzzimmer der Herzoginwitwe betrat. Unversehens füllte sein massiger Körper den kleinen Raum. Sein Mantel war aus lucchesischem Samt. Seine Hutbänder waren goldbestickt. Sein dickes Gesicht mit dem mehrfachen Kinn war frisch, er lächelte und riß ihr dabei mit Blicken die Kleider vom Leib.
Als Vicomte de Ribérac das letzte Mal Brügge besucht hatte, war Claes beinahe im Karnevalsfeuer umgekommen. Als sie ihm das letzte Mal begegnet war, hatte er ihr in Vorbereitung auf die Ehe mit ihm eiskalt die Unschuld rauben wollen, zu Hause, auf ihrem eigenen Küchenboden. Was sie ihm verweigerte, bot sie in derselben Nacht noch Claes an. Aber das konnte Jordan de Ribérac nicht wissen. Sonst hätte er sich nicht damit begnügt, Claes’ Gesicht zu zeichnen oder zwei unfähige Mörder zu dingen. Er hätte ihn eigenhändig getötet.
Nun sah es so aus, als stattete er der Herzoginwitwe bloß einen Höflichkeitsbesuch ab. Er blieb eine halbe Stunde und sprach mit allen Hofdamen. Sie konnte nicht weglaufen, rechnete aber nicht damit, daß er sie ansprechen würde; doch genau das tat er, mit kaltem Blick und amüsiertem Lächeln. »Nanu, Mademoiselle! Gar kein Freier, bei Euren Reizen? Zumindest wissen wir in Brügge von keinem, wo sie ja Tölpel wie Fische in Fässer stecken, wie ich gehört habe. Es war klug von Euch, in die Bretagne zu gehen. Trefft hier Eure Wahl. Wartet, bis die Luft reiner und frischer ist, ehe Ihr Euch nach Flandern zurückwagt.«
»Auch in der Bretagne, Monsieur«, entgegnete sie, »ist die Luft nicht so frisch, wie ich es wünschte.«
Das war kindisch. Es machte gar keinen Eindruck. Er schenkte sein Lächeln einfach allen Anwesenden. »Brügge!« sagte er. »Ein Ort für kleine Handwerksbetriebe und kopulierende Dienstboten. Ein weiser Mann würde die Stadt von beidem säubern. Vergeßt Brügge. Wartet, bis Ihr die Karnevalsnacht in Nantes erlebt habt, verehrte Mademoiselle. Wie auch immer Eure Erfahrungen aussehen mögen, das wird Eure Erwartungen übertreffen, glaubt mir.«
Er hatte sich abgewandt, ehe sie eine Antwort darauf geben konnte. Er wußte es. Er wußte irgend etwas.
Nachdem er gegangen war, verließ Katelina die Räume der Herzoginwitwe und betrat die Empfangszimmer, wo sie vielleicht der Mätresse des Herzogs begegnen würde. Der König von Frankreich war überzeugt, daß vom Hof der Herzoginwitwe keine französischen Geheimnisse nach Flandern durchsickern konnten. Daß ein flämisches Geheimnis seinen Weg nach Frankreich finden könnte, würde ihm das allergrößte Vergnügen bereiten.
Als sie Antoinette endlich gefunden hatte, wußte diese natürlich schon alles über
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