Niccolòs Aufstieg
Er war Nicholas und mußte nicht erst dazu gemacht werden.
Und so dachte sie zum ersten Mal darüber nach, wie er sich wohl zu dem Kind stellen würde. Er hatte keinen Anlaß gehabt, damit zu rechnen. Sie hatte ihn vom Gegenteil überzeugt. Er hatte gesagt, und sie hatte es ihm geglaubt, daß er nicht den Wunsch hatte, zu heiraten. Diese Möglichkeit hatte er vollständig von sich gewiesen. Aber wenn nun ein Kind kam?
Wenn sie die Schwangerschaft abbrach, was würde er empfinden? Es war ihr Recht, das zu tun, genauso wie es auch ihre Entscheidung gewesen war, eine Empfängnis zu riskieren. Wenn sie das Kind heimlich zur Welt brächte und es in Pflege gäbe, würde er davon wissen wollen? Vielleicht nicht. Oder er würde das Kind zu sich nehmen. Und um des Kindes willen bekanntmachen, wer seine Mutter war.
Wie war er selbst aufgewachsen? Sie wußte so wenig über ihn. Sie glaubte, daß er ein paar Jahre lang bei seiner Mutter gelebt hatte. Dann war er zu einem entfernten Verwandten gekommen, der ihn hart angefaßt hatte. Nein. Ein Mann, der so aufgewachsen war, würde nicht zulassen, daß sein Kind weggegeben würde. Man müßte ihm weismachen, daß es nicht seins war. Es sei denn …
Es sei denn. Der zweite Monat ging vorüber, ihre Augen wurden groß und unergründlich, und ihre Wangenknochen traten stärker hervor. Manchmal kam sie zu spät zu ihrem morgendlichen Dienst bei der Herzoginwitwe, aber nie verpaßte sie ihn. Sie begegnete vielen Männern, aber keinem, der ihr gefiel. Sie nahm keine Liebhaber, sondern dachte an den einzigen, den sie gehabt hatte.
In der zweiten Juniwoche, als sie wußte, daß sie nun etwas unternehmen mußte, kehrte Jordan de Ribérac zurück. Diesmal hatte sich die Herzoginwitwe mit ihrem Astrologen eingeschlossen, und ihre diensthabende Begleitung war nicht da. Von dem Pagen an der Tür abgesehen, saß Katelina allein im Vorderzimmer. Ohne viel Förmlichkeit nahm der Dicke neben ihr Platz.
Wieder zogen diese Augen sie nackt aus, vom Fichu bis zu den Brüsten und weiter hinab. Und diesmal gab es etwas zu sehen. »Demoiselle, wo steckt denn Euer Ehemann?« fragte Jordan de Ribérac.
»Müßte ich einen haben?« versetzte Katelina. »Macht Ihr mir erneut einen Antrag, Monsieur de Ribérac?«
Er lächelte. »Es sind nicht viele Bewerber, nicht wahr? Der Herzog wäre sicherlich entgegenkommend, aber er kann Euch nicht heiraten, und außerdem soll der Zustand seines Beins wirklich besorgniserregend sein. Und was die anderen angeht, wißt Ihr ebensogut Bescheid wie ich. Ihr habt doch die Neuigkeiten aus Brügge gehört?«
Sein Tonfall hieß sie ja sagen. Ein instinktives Gefühl zwang sie zur Wahrheit. »Nein. Die Briefe scheinen alle verlorengegangen zu sein.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Ich verstehe. Dann darf ich Euch vielleicht als erster das Neueste von Euren vielversprechenden Freunden berichten. Mein Sohn. Beginnen wir mit meinem Sohn. Es sieht so aus, als stünde Simon kurz vor einer äußerst vorteilhaften Verbindung mit einer Dame namens Muriella, der Tochter von John Reid, einem der Staple-Kaufleute in Calais. Wird sie fruchtbar sein? Das frage ich mich. Simon hat für Kinder nichts übrig. Aber ich fürchte, Ihr müßt der reizenden Illusion abschwören, die wir beide einst teilten. Mein lieber Simon wird auf Euren Ruf nicht einfach herbeigelaufen kommen. Wen gibt es noch? Die Familie Gruuthuse übt jetzt angeblich Druck auf den jungen Guildolf aus, damit er sich endlich entscheidet. Er ist noch jung. Er hätte Eure Zurückweisung vielleicht überwunden und wäre zu Euch gekommen, nur leider befindet er sich mit seinen Eltern in Brügge, und Ihr habt ihn verlassen und seid hier. Armer Guildolf.«
Jordan de Ribérac seufzte. »Sonst gibt es doch keinen, oder? Ihr hattet etwas gegen die anderen beiden Kandidaten Eurer Eltern, und so wird es Euch nichts ausmachen, zu hören, daß jeder von ihnen einen Vertrag mit dem Mädchen seiner Wahl geschlossen hat. Sonst kenne ich keinen, dem es gelungen wäre, in den Zauberkreis Eurer jungfräulichen Zurückhaltung einzudringen. Es sei denn, man zählte den jungen Arbeiter Claes mit.«
»Wohl kaum«, sagte Katelina.
»Wohl kaum?« fragte der dicke Mann. »Nach der Mühe, die Ihr und Eure Schwester Euch gemacht habt, ihn - zweimal? - aus einem Kanal zu ziehen? Ein Akt der Barmherzigkeit, den ich natürlich bewundere. Wenn er tatsächlich meinen Sohn mit seiner Schere umgebracht hätte, würde ich vielleicht anders darüber
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