Niccolòs Aufstieg
getroffen hatte. Als er und der Diener zurückkamen, war kein Platz mehr, die Becher abzustellen, so überladen war der Tisch mit Papieren. Die Blätter waren scheinbar alle mit Zahlenkolonnen bedeckt. Die üppigen Kopfbedeckungen Pigellos und Acceritos schwangen wie Hochzeitsglocken hin und her, während die beiden Männer die Zahlen erläuterten. Nicholas, das Haar von der Hitze gekräuselt, saß in seiner von der Reise lädierten, aber anständigen Jacke da und beobachtete sie. Wenn sie aufhörten zu reden, warf er ab und zu eine Bemerkung ein.
Julius, der selten ein Gesicht näher betrachtete, fiel auf, daß Nicholas müde wirkte und nicht sehr aufmerksam. Während er den Wein einschenkte, bemühte er sich, die Stimmung aufzulockern. Der Sturz Jaak de Fleurys war doch ein Grund zum Feiern.
Die Brüder Pigello nahmen den Wein mit der Höflichkeit guter ambrosianischer Republikaner entgegen, ehe sie fortfuhren, zu blättern und ihre Bemerkungen an Nicholas zu richten.
»Habe ich etwas verpaßt?« fragte Julius.
Alle hoben die Köpfe. Pigello sah erst ihn an, dann Nicholas, dann wieder ihn. »Es geht um große Mengen Geld«, sagte er. »Ich übernehme gern die Verantwortung, aber es wäre mir lieber, Ihr und Euer collega würdet die Zahlen prüfen. Und natürlich haben wir da auch noch die Waffenlieferung in Piacenza. Die Messer Tobias bei Messer Agostino in Auftrag gegeben hat.«
»Die war für Thibault und Jaak de Fleury«, sagte Julius schnell. Sie sahen ihn an. Ihm wurde plötzlich heiß. »Diese Listen sind ,.. ?«
»Rechnungen über Beträge, die de Fleury Eurem Haus schuldet«, sagte Pigello Portinari. Sein Ton, höflich wie stets, verbarg beinahe seine Ungeduld. »Und entsprechende Gutschriften über Gold und Vermögen Thibault und Jaak de Fleurys bei ihrem italienischen Beauftragten Maffino, die wir in Eurem und im eigenen Namen sichergestellt haben, sobald der Bankrott bekannt wurde. Das alles ist noch zu den Forderungen zu addieren, die wir im Juni dem Haus Charetty abgekauft haben. Zum Glück wurden wir frühzeitig vor dem Genfer Desaster gewarnt und konnten unsere Gelder größtenteils eintreiben. Jedes Unternehmen mit etwas Weitblick«, fuhr Pigello fort, »versichert sich gegen Unglücksfälle auf See. Aber kaum ein Kaufmann bedenkt, daß solches Unheil auch zu Land geschehen kann, und ergreift ähnliche Vorsichtsmaßnahmen. Demoiselle de Charetty ist da eine Ausnahme unter den Geschäftsleuten.«
In der Tat, »Wie kam es denn zu de Fleurys Bankrott?« fragte Julius unvermittelt. Nicholas, der den Rand seines leeren Bechers ans Kinn gedrückt hielt, sah ihn nicht an.
»Durch einen hohen, sehr hohen Kapitalabzug. Mehr wissen wir nicht darüber. Verbunden mit Forderungen von Kreditgebern, die ihr Geld zurückverlangten, sobald das Defizit bekannt wurde. Ihr wißt ja, daß um diese Zeit die Augustmesse vor der Tür steht. Kleine Kaufleute, die sich bereits zur Abnahme von Waren verpflichtet haben, riskieren selbst die Zahlungsunfähigkeit, wenn sie nicht an die Mittel herankönnen, die sie in gutem Glauben in einem solchen Handelshaus hinterlegt haben. Unternehmen, die wie Eures Ware auf Kredit verkauft haben, sehen wahrscheinlich weder Ware noch Geld wieder.« Pigello hielt inne und schaute seinen Bruder an. »Jeder Kaufmann sollte sich das eine Lehre sein lassen, auch unsere Niederlassung in Brügge. Kredite werden nicht verlängert, mag auch der Kunde, ob Handelshaus oder Einzelperson, noch so beeindruckend sein.«
»Wir haben also zum Ausgleich die Waffen, die nicht an Jaak de Fleury ausgeliefert wurden«, stellte Julius fest. »Und was sonst?«
Nicholas stellte seinen Becher ab und schob ihm mit dem Ellbogen ein Blatt Papier hin. »Das da. Genug, um das Geschäft zu kaufen, wenn noch etwas davon übrig ist.«
»Von dem in Genf nicht«, bemerkte Pigello. »Es ist vernichtet. Ich sagte Euch ja, die Sache sprach sich schnell herum. Es waren viele kleine Einzahler da. Irgendein Hitzkopf rief zum Sturm auf das Gebäude. Die Leute brachen ein, plünderten alles aus und steckten dann das Haus in Brand. Jaak de Fleury konnte entkommen. Bei Dijon lebt noch ein älterer Bruder, ein stiller Teilhaber namens Thibault. Die Leute unserer Genfer Zweigstelle vermuten, daß er dorthin geflohen ist. Ich muß Euch bitten, Francesco Nori aufzusuchen, unseren Genfer Geschäftsführer. Er hat noch Tuch, das Euch gehört, und einige andere Dinge.«
»Das ist ja unglaublich.« Julius war wie vor den Kopf
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