Niccolòs Aufstieg
ihr Ziel ein neues Haus in der Spanjaardstraat war, das der Demoiselle jetzt als Geschäftssitz diente. Er fand die Straße, fand das Haus und war beeindruckt.
Im Hof waren weder Nicholas noch sein Pferd zu sehen. Etwas erschrocken fragte sich Julius, ob die erste Aussprache mit Jaak de Fleury und, schlimmer noch, mit Felix’ Mutter ihm zufallen würde. Gerade, als er sich beim Pförtner erkundigte, trat ein schlanker Mann aus dem Haus und kam über den Hof. Er schien etwa so alt zu sein wie er selbst, hatte ein schmales Gesicht mit leicht eingefallenen Schläfen und einer scharfen, sehr langen Nase, die dank dem stark aufgeworfenen Ende beinahe ein wenig komisch wirkte. Er fragte mit klangvoller Stimme, ob er behilflich sein könne.
Die schwarze Kleidung verriet ihn. Dies war zweifellos Gregorio d’Asti, der neue Rechtskonsulent, der seit fünf Monaten an seinem - Julius’ - Schreibpult saß. Julius stellte sich vor und hörte nach Austausch der Höflichkeitsfloskeln, daß Nicholas noch nicht da war und sowohl die Demoiselle als auch de Fleury außer Haus waren. Die Demoiselle war zu den Flandern-Galeeren hinausgefahren, Monsieur hatte in der Stadt einen Besuch zu machen.
Gregorio trug diese Einzelheiten höflich, doch zurückhaltend vor, und Julius sagte: »Wir wissen von Jaak de Fleury. Wir haben eine Ahnung, was dahintersteckt. Das sollte schnellstens geregelt werden. Wie geht es der Demoiselle, Meester Gregorio?«
Der junge Mann musterte ihn mit klugen dunklen Augen, während er die Frage bedachte. »Sie denkt an kaum etwas anderes als die Heimkehr ihres Sohnes. Schlechte Nachricht wäre besser als gar keine.«
»Sie sollte es von Nicholas erfahren«, versetzte Julius. »Er wird bald hier sein. Man kann das nicht auf der Straße besprechen.«
»Dann ist ihr Sohn also tot«, sagte Gregorio. »Armer Felix. Arme Demoiselle. Sie wird es vielleicht doch auf der Straße hören. Ich wollte gerade los und sie suchen. Ist er bei San Fabiano gefallen?«
Vielleicht hatten Astrologen den Namen der Schlacht aus den Sternen gelesen. Unmöglich konnte die Nachricht Brügge schon auf anderem Weg erreicht haben. Julius wollte etwas sagen.
Gregorio kam ihm zuvor. »Wir haben gerade erst von der Schlacht gehört. Ein Hauptmann aus Graf Federigos Heer soll hiergewesen sein und die Nachricht überbracht haben. Der Pförtner hat es mir erzählt. Aber von Felix hat der Mann nichts gesagt. Er fragte nach Monsieur de Fleury und ging gleich wieder, um ihn zu suchen.«
»Ein Hauptmann? Wer denn? Doch nicht Astorre?« fragte Julius. Ihm war kalt »Nein. Nicht der Hauptmann der Demoiselle. Ein Rivale, soviel ich weiß«, antwortete Gregorio. »Ein Söldner namens Lionetto.«
Nicholas hatte an diesem Tag anderes im Kopf als seine eigene Sicherheit. Und wäre ihm ein Gedanke daran gekommen, er hätte ihn verworfen. Niemand wußte, daß er wieder in Brügge war. An das Genter Tor und die schnellfüßigen Freunde des Wächters dachte er nicht.
Von dem Augenblick an, als er über die Zugbrücke ritt, war er ganz mit Gedanken an Jaak de Fleury beschäftigt. Er schüttelte sie nur ab, um sich auf die schwere Aufgabe vorzubereiten, die auf ihn wartete. Er ritt mit gesenktem Kopf, weil er keine Begrüßungen wollte, keine Fragen über den Krieg und über Felix. Anfangs merkte er nicht einmal, daß sein Pferd nicht zufällig, sondern ganz bewußt von zwei Reitern rechts und links von ihm abgedrängt wurde.
Sie trugen städtische Uniformen und boten ihm lächelnd Begleitschutz zum Haus der Demoiselle. Er lehnte dankend ab und bemühte sich, höflich zu bleiben, als sie insistierten.
Doch ihre Aufdringlichkeit veranlaßte ihn, sich nach Julius umzuschauen, und da sah er, daß niemand hinter ihm war.
Die alptraumhafte Erinnerung, wie er im Faß eingesperrt auf dem brennenden Schiff lag, kam ihm ins Gedächtnis, aber er schob sie sogleich weg. Es kam sicher nur daher, daß die beiden glattrasierten Gesichter an seinen Seiten eine gewisse Ähnlichkeit mit den bärtigen Säuferfratzen hatten, an die er sich aus jener Nacht nebelhaft erinnerte.
Es waren dieselben Gesichter!
Er erkannte es erst, als er zu Boden geschleudert wurde, nachdem sein Pferd unerklärlicherweise gestrauchelt und gestürzt war und ihn dabei abgeworfen hatte. Er überschlug sich einmal und landete in einem dunklen Torbogen, hinter dem ein Stück Brachland und das Kanalufer lagen. Jemand sprach in gutem Flämisch. Nicht mit ihm, mit Vorüberkommenden, denen versichert
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