Niccolòs Aufstieg
Passierscheine herauszusuchen.
»Na, das will ich hoffen«, sagte Julius. »Die Pförtner sollen ja im Frühjahr so toll gefeiert haben, daß sie dabei alles niederbrannten. Bei mir hätte es so etwas nicht gegeben, das sag ich dir.«
»Ach, das Feuer ist nicht das Schlimmste.« Der Torwächter lachte boshaft.
»Was dann?« fragte Nicholas. Die Passierscheine lagen auf einem Fäßchen deutschen Biers. Der Torwächter grinste bis zu den nicht vorhandenen Backenzähnen, nahm das Bier an sich und gab die Papiere Nicholas zurück.
»Zum Beispiel, daß Ihr für die Witwe alle tot seid und sie sich wieder verheiraten will. Heißt's jedenfalls. Sonst wär das ja auch wirklich nicht in Ordnung, oder? Ich mein, daß der Kerl da wohnt und alle Geschäfte für sie macht. Wo ist überhaupt der Kleine?«
»Das wird die Demoiselle erzählen, wenn wir bei ihr waren«, antwortete Nicholas. »Von welchem Kerl redest du?«
Er wirkte ruhig, ganz im Gegensatz zu Julius, dem die verschiedensten Kandidaten in den Sinn kamen. Oudenin, der Pfandleiher. Einer von den Färbern. Der Jurist, Gregorio.
»Soll ein Verwandter sein«, sagte der Torwächter. »Du bist doch auch mit ihr verwandt, was, Claes? Die hat, scheint s, ihre Verwandtschaft gern um sich. Jaak heißt er. Aus Genf.«
Nicholas schwieg. Dann sagte er: »Er wohnt bei ihr?«
»Und führt das Geschäft. Hat ja auch Erfahrung. Ein echter Kaufmann. Eine Stütze für sie.«
»Ruhig Blut!« mahnte Julius. »Nicht direkt zum Haus.«
»O doch, direkt zum Haus«, widersprach Nicholas. Das kräftige Sepia seines schmutzverkrusteten Gesichts, das sich schon verändert hatte, verblaßte zu fahlem Lehmbraun. »Wenn sie ihn bei sich aufgenommen hat, dann nur weil er sie gezwungen hat«, erklärte er und ritt voran über die Brücke.
»Du meinst, er hat erzählt, du wärst tot? Oder Felix? Oder was?«
»Er wird ihr erzählt haben, daß ich Felix in Genf niedergeschlagen und gezwungen habe, mich nach Mailand zu begleiten. Hat Felix Euch das nicht gesagt?«
»Nein.« Julius war todmüde und verärgert darüber, sich mit einer, wie ihm schien, simplen Rechtsfrage beschäftigen zu müssen. Jaak de Fleury war bankrott. Er hatte keine Ansprüche an die Charettys, man konnte ihn ohne weiteres los werden. Wäre er frischer gewesen, so hätte er ihn mit Freuden persönlich hinausgeworfen. Ein Jammer, daß die Demoiselle ihn aufgenommen hatte, vielleicht aus fehlgeleiteter Menschlichkeit. Sie hatte wahrscheinlich keine Ahnung, was für ein Mensch Jaak de Fleury wirklich war. Er erinnerte sich noch lebhaft, wie er einmal gedroht hatte, Claes die Hände abzuhacken.
»Hast du Felix wirklich niedergeschlagen?« fragte er. »Wenn du’s getan hast, dann gewiß mit gutem Grund. Das wirst du ihr sicher auch einreden können, wenn es nicht so war. Oder hat er gedroht, dich schlechtzumachen?«
»Er könnte das Vertrauen der Leute in das Unternehmen erschüttern«, versetzte Nicholas. »Oder …« Er brach ab.
»Oder was?« hakte Julius ungeduldig nach. »Wir sind gleich da.«
»Es gibt eine geheime Angelegenheit, von der Jaak de Fleury besser nichts erfahren sollte«, sagte Nicholas. »Oder nein, genaugenommen sind es zwei Dinge, aber das zweite geht Euch nichts an.«
Das Alaunlager. Als Julius klar wurde, was er meinte, verlor auch sein Gesicht die Farbe, »Wie sollen wir ihn aufhalten, wenn er dahintergekommen ist?«
»Es gibt verschiedene Möglichkeiten«, antwortete Nicholas. »Genau wie es verschiedene Möglichkeiten gibt, einer Frau zu sagen, daß ihr einziger Sohn gefallen ist. Wie wäre es, mal nachzudenken statt zu reden?«
Nie zuvor hatte Claes so mit ihm gesprochen. Das verlangte nach Zurechtweisung, aber als er Nicholas’ Gesicht sah, sagte er nichts.
Die Straßen von Brügge waren wegen der Flandern-Galeeren voller Menschen. So ungeduldig sie mit ihrem kleinen Troß vorwärtsdrängten, mit Pferden war das Vorankommen mühsam. Zudem begegneten sie immer wieder Leuten, die sie kannten. Nicholas hielt den Kopf gesenkt und grüßte niemanden, während er sein Pferd Schritt für Schritt durch das Gewühl trieb. Julius, der länger weg gewesen war, begegnete den freundlichen Gesichtern Bekannter mit lächelndem, wenn auch durch Müdigkeit getrübtem Blick und nahm sich die Zeit, Grüße zu erwidern.
So kam es vermutlich, daß Nicholas von ihm, Loppe und den wenigen Männern, die sie für die Reise angeheuert hatten, getrennt wurde. Es war nicht schlimm. Er wußte von Nicholas, daß
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