Niccolòs Aufstieg
guter Erzieher für ihn. Und vielleicht denkt Ihr auch, mir sei an Euren Verlusten eine Teilschuld zuzuweisen.«
»Die Gesamtschuld, meint Ihr doch wohl?« erwiderte Marian de Charetty. »Oder seid Ihr etwa der Ansicht, mein Sohn solle ebenfalls in irgendeiner Form zahlen? Von Eurem Freund Claes will ich gar nicht reden, denn der besitzt nicht einen Groschen. Er muß daher andere Mittel und Wege zur Begleichung seiner Schuld finden.«
»Er hat bezahlt«, warf Julius hastig ein.
»Ganz im Gegenteil«, widersprach Marian de Charetty. »So wie ich es sehe, habe ich bezahlt, um ihm eine zweite Prügelstrafe zu ersparen. Womöglich muß ich sogar noch einmal zahlen, um diesen blutrünstigen Schotten zufriedenzustellen. Vielleicht sollte ich ihm statt dessen einfach Claes geben?«
Claes war als Lehrjunge zu ihnen gekommen. Er lebte bei der Familie Charetty, seit er zehn Jahre alt war, schlief wie die anderen Arbeiter im Stroh und saß an dem für die Lehrlinge bestimmten Tisch. Claes war der Schatten ihres Sohnes.
»Der Schotte würde ihn wohl umbringen.«
Die blauen Augen richteten sich auf ihn. »Warum?«
Allmächtiger. Julius wog seine Antwort vorsichtig ab. »Es heißt, er sei eifersüchtig, Demoiselle.«
»Auf Claes?«
Seiner Ansicht nach hatte sie ihn sehr wohl verstanden. Zum Teufel auch, sie mußte Bescheid wissen. Der alte Henning hatte ihr doch bestimmt wenigstens das erzählt. Keine Einzelheiten über Felix, dafür alle pikanten Details über Claes, damit sie ihn an die Luft setzte. Denn damit rechnete Julius. »Er ist ein tüchtiger und geübter Arbeiter. In anderen Werkstätten müßte man ihm Lohn zahlen.«
»Wegen Claes mache ich mir keine Sorgen«, erklärte die Witwe. »Auch Euretwegen nicht sonderlich. Ihr habt Euer Geld angelegt. Wenn Ihr in meinen Diensten bleiben wollt, werdet Ihr wohl einen Teil Eurer Einlagen veräußern müssen. Wenn Felix nach Löwen zurückkehrt, werdet Ihr ihn begleiten, sofern Ihr Felix und mir eine genaue Aufstellung Eurer persönlichen Geldmittel aushändigt. Jedes Fehlverhalten von Felix wird Euer Guthaben schmälern, und wenn es an der Zeit ist, werde ich meinen Sohn zwingen, Euch alles zurückzuzahlen. Anders gesagt: Wenn Ihr nicht imstande seid, seinen Charakter zu formen, dann muß ich das tun. In dieser ungeheuerlichen Geschichte spricht allein die Rücksicht für euch, die ihr einander in gewissem Maß bewiesen habt. Anderen Leuten gegenüber habt ihr es an Rücksicht indessen fehlen lassen.« Fragend sah sie ihn an. »Ihr haltet das für ungerecht? Wollt Ihr den Dienst aufkündigen?«
»Das hängt davon ab, wieviel Geld Ihr haben wollt«, erwiderte er unumwunden. Woher wußte sie, was er besaß?
»Genug, um Euch eine Lehre zu erteilen.«
»Ich könnte Felix etwas lehren, das Euch nicht behagt.«
Sie musterte ihn nach wie vor und strich sich dabei langsam mit dem zerzausten Ende ihres Federkiels über den Mundwinkel auf und ab, auf und ab. Dann legte sie ihn beiseite. »Im großen und ganzen verhandelt Ihr sehr geduldig. Ihr versteht es, eine Aussage aufrechtzuerhalten. Doch dann verliert Ihr unversehens die Fassung. Warum?«
Weil es mir nicht behagt, für eine Frau zu arbeiten. Doch das sprach er nicht aus. »Ich bedaure, das alles bereitet mir Sorge. Ich bin kein reicher Mann. Wie Ihr wißt.«
»Falls ich Euch weiterhin zur Erziehung meines Kindes heranziehe, werde ich kaum so unvernünftige Forderungen stellen, daß Ihr nur noch Eure Stellung aufgeben könnt. Doch das habt Ihr sicher bedacht.«
»Ich war überrascht. Ich hatte gedacht, meine persönlichen Angelegenheiten seien persönlicher Natur.«
»In Flandern?«
Darauf erwiderte er nichts.
»Keiner von uns hört mit zwanzig zu lernen auf, Meester Julius. Keiner von uns. Das, was Euch zu einem kindischen Streich in einem Badebassin treibt, bringt Euch auch dazu, im Verlauf einer Verhandlung eine unkluge Bemerkung zu machen. Das ist die Lektion, für die Ihr bezahlen müßt. Eines Tages werdet Ihr es mir danken. Morgen teile ich Euch mit, wie meine Entscheidungen im einzelnen lauten. Und nun schickt meinen Sohn zu mir.«
Julius zögerte, dann verbeugte er sich und verließ den Raum. Nachdem er Felix gerufen hatte, sperrte er sich in seinem Zimmer ein und grübelte. Als er geraume Zeit später eine Tür knallen hörte, war er noch immer zu keiner Entscheidung gelangt und lauschte statt dessen, wie nun Felix von der Audienz zurückkehrte.
Julius schob den Riegel zurück, hastete die Treppe
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