Niccolòs Aufstieg
gefragt, wie er beschaffen ist.«
»Und jetzt, nach einer einzigen feindseligen Begegnung, weißt du es. Doch der daraus entstandene Schaden muß wiedergutgemacht werden. Mein Kunde ist gekränkt, und Felix’ Erbe wird darunter leiden. Und das alles wegen dieses Mißgeschicks.«
»Lord Simon kehrt nach Hause zurück, sobald die Galeeren weg sind. Ich werde ihm aus dem Weg gehen. Demoiselle, ich habe Neuigkeiten über den Alaun.«
»Und ob du ihm aus dem Weg gehen wirst. Solange du unter meinem Dach weilst, dulde ich keine Fehde. Du verfügst nicht über die Mittel, eine solche zu überleben. Aber du verfügst weiß Gott über die Mittel, eine anzuzetteln. Du hast das gleiche Problem wie Felix. Du brauchst Beschäftigung.«
Er lächelte und streckte ihr die Handflächen hin. Sie hatten dicke Schwielen.
»Für wie dumm hältst du mich?« fragte sie. »Das ist mir durchaus bekannt. In den acht Jahren, seit du bei uns bist, haben deine Arme und Beine zumindest deinen Unterhalt eingebracht. Ein Jammer nur, daß ansonsten alles an dir noch nicht einmal geboren zu sein scheint. Was soll nur aus dir werden?«
Er schüttelte den Kopf und schenkte ihr das überschwengliche, liebenswürdige Lächeln, mit dem er alle Welt bedachte. »Vielleicht läßt der Herzog mich aufhängen?«
»Nein«, erwiderte Marian kühl. »Der König von Schottland vielleicht. Der König von Frankreich nahezu mit Sicherheit. Falls Meester Julius geht, könnte dir Schlimmeres geschehen, als mit ihm zu gehen.«
»Wird er denn gehen?« fragte Claes überrascht.
»Möglich«, erwiderte Marian de Charetty. »Wenn ihm klar wird, daß ich ihn nicht an meinem Unternehmen beteilige. Aber angesichts seiner jetzigen Schulden wird es eine Weile dauern, bis er genügend. Rücklagen hat, um sich selbständig zu machen. Doch dann ist Felix längst erwachsen.«
»Und ich bin, vielleicht, längst vom König von Schottland gehängt«, sagte Claes. »Aber wo wollt Ihr einen redlichen Konsulenten finden, der Euch hilft, Jongeheer Felix den rechten Weg zu weisen?«
Er redete, als würde er laut nachdenken. Sie gestattete Claes öfter, frei heraus zu reden. Und nun lieferte er, noch ehe sie sich eine Antwort überlegt hatte, eine mögliche Antwort. »Da wäre Meester Oudenin. Seine Tochter ist im richtigen Alter.«
Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, und atmete unvermittelt tief ein, was in ihrer Kehle einen schwachen Geschmack nach Tinte, Pergament, Leder, Schweiß und Sägemehl hinterließ. Sägemehl?
»Genau das werde ich wohl tun. Die Prügelstrafe, die du zweifellos verdient hast, würde mich nur noch mehr von deiner Arbeitskraft kosten. Zur rechten Zeit werde ich dir sagen, welche andere Strafe ich mir ausgedacht habe. Inzwischen kehre zu deiner Arbeit zurück, gleichgültig, was der Magistrat dazu sagt. Um den schottischen Edelmann kümmere ich mich.«
Die Schritte, die sie schon gehört hatte, kamen näher, und kurz darauf vernahm sie das vertraute Hämmern von Astorres Faust an der Tür.
Claes lächelte, und sie mußte sich beherrschen, um sein Lächeln nicht zu erwidern. Erneut hämmerte es an die Tür, und gleich darauf war Astorres Stimme zu hören: »Demoiselle!«
»Ich habe alles niedergeschrieben«, sagte Claes. »Was den Alaun betrifft. Er kommt aus dem westlichen Teil Kleinasiens, aus Phokäa, und die Venezianer haben gehofft, es geheimhalten zu können. Bestimmt wäre die Zunft daran interessiert.« Er zog einen zerknitterten Zettel aus seinem Beutel, legte ihn vor ihr auf den Tisch, und mit einem neuerlichen Lächeln schob er eines ihrer Schriftstücke darüber. Sodann durchschritt er, nachdem ihm dies stillschweigend gestattet worden war, den Raum und öffnete die Tür für Astorre, ehe er sich mit einer Verbeugung empfahl.
Die Tür schloß sich. Den Zettel ließ Marian unbeachtet. Der Söldner schleppte, wie erwartet, unter jedem Arm einen schweren Kasten. Säbelbeinig trampelte er durch das Zimmer und setzte sie schwerfällig neben ihrer Geldtruhe ab. Aus diesem Grund heuerte sie jedes Jahr eine schlagkräftige Leibgarde an: Sie beförderten die zusätzlichen Silbermünzen, die sie zum Ankauf von Waren der venezianischen Flandern-Galeeren benötigte.
Astorre richtete sich auf, er war kaum ins Schnaufen geraten. Zwanzig Jahre erbitterten Kämpfens waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, wie die runzlige Narbe über dem einen Auge zeigte und die scharlachrote Krause, die der Arzt vom einen Ohr übriggelassen hatte.
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