Niccolòs Aufstieg
im Angesicht königlicher Hoheiten. Dabei befand er sich in zwangloser Gesellschaft, zu der auch der Seidenhändler Giovanni Arnolfini gehörte und João Vasquez, ein Freund ihres Vaters und Sekretär der Herzogin, ein kleingewachsener, dunkler Mann, mit Simons Schwester verschwägert. Die beiden Männer in Damast mit den protzigen Edelsteinen an den Hüten waren zweifellos Venezianer. Im Lauf der Unterhaltung, an der sie sich in stockendem Französisch beteiligten, wandten sie sich immer wieder hilfesuchend an Arnolfini oder den siebten in der kleinen Gesellschaft, den sie nicht sehen konnte, dessen Italienisch sich aber anhörte wie Tommaso Portinaris radebrechendes Französisch. Ihre Lippen zuckten.
Dann trat ihr Vater zu der Gruppe. Simon wandte sich um und bemerkte sie. Er runzelte die Stirn. Er runzelte tatsächlich die Stirn!
»Lord Simon! Wie schön, daß Ihr wieder auf freiem Fuß seid«, rief Katelina. »Wart Ihr lange im Gefängnis?«
Sie sprach französisch und hoffte, daß selbst die Venezianer den Sinn ihrer Worte erfassten. Befriedigt sah sie ihn vor Zorn erblassen. Zugleich faßte ihr Vater sie beim Arm und sagte: »Katelina, was fällt dir ein? Monsieur de Kilmirren war nicht im Gefängnis.«
Sie machte ein verwundertes Gesicht. »Obwohl er den Jungen getötet hat? Oh, verzeiht! Für Euch als Ausländer gelten unsere Gesetze natürlich nicht. Was habe ich mir dabei gedacht?«
Dicht an ihrem Ohr sagte jemand mit sonorer Stimme: »Madame, was immer Ihr auch gedacht habt, die Gedanken einer solchen Frau können nur bezaubernd sein. Es wäre mir eine große Ehre, Euch vorgestellt zu werden.«
Das konnte nur der siebte Mann sein, der italienisch-französische Radebrecher. Erheitert drehte sie sich herum und wurde unsicher.
Nicht ein lächelnder Kavalier hatte die blumigen Worte gesprochen, sondern ein Mann von gut fünfzig Jahren, dessen Leibesumfang so stattlich war wie sein Wuchs. Der pelzverbrämte Samt, der bis zum Boden herabfiel, hätte für die Segel eines größeren Frachtschiffs ausgereicht, nur daß wenige Reeder das hätten bezahlen können. Die von Juwelen blitzende Kette um seine Schultern war ein kleines Königreich wert, und der schlichte Hut war mit Zobel besetzt. Das glattrasierte Gesicht mit dem in Wülsten herabhängenden Kinn erinnerte an das eines dicken Klosterbruders, nur fehlte ihm die dazugehörige Gutmütigkeit. Um den Mund, aus dem die blumigen Worte gekommen waren, lag ein höfliches Lächeln, doch die Augen blickten frostig.
»Oh, pardon!« Der Sekretär der Herzogin. »Madame Katelina, darf ich Euch den Vicomte de Ribérac vorstellen? Der Vicomte lebt in Frankreich und ist in Geschäften hier, die mit den Galeeren zu tun haben. Vicomte - Messer Florens van Borselen und seine ältere Tochter Katelina, Und, Madame, darf ich Euch mit Messer Orlando und Messer Piero von den Flandern-Galeeren bekannt machen?«
Der große Dicke bewegte in Andeutung einer Verneigung leicht die Schultern. »Bitte, Madame Katelina«, sagte er, »fahrt mit Eurer aufregenden Geschichte fort. Ist hier in Brügge ein schottischer Krieg ausgebrochen?«
Jemand lachte - der Luccheser Arnolfini. »Nicht ganz, Monseigneur. Nur ein kleiner Zwischenfall mit einem Lehrling, bei dem niemand zu Schaden kam. Madame Katelina ist da offenbar etwas Falsches zu Ohren gekommen.«
»Das fürchte ich auch«, sagte Simon. Sein Gesicht war immer noch blaß, die Stirn hatte sich nicht geglättet. »Oh«, rief er, »dort drüben erwarten mich Freunde. Würdet Ihr mich entschuldigen?«
Ohne auf Antwort zu warten, wandte er sich ab. »Freunde?« sagte Katelina, als er an ihr vorüberkam. Und leise, damit niemand sonst es hören konnte: »Freundinnen, meint Ihr wohl? An männlichen Freunden scheint es zu mangeln.«
Er blieb stehen. Den anderen den Rücken gekehrt, versetzte er ebenso leise: »Auch Euer Freund, der Lehrling, hat einige. Und Ihr könnt Euch ruhig selbst die Schuld geben an dem, was ihm widerfuhr. Schließlich habt Ihr seine gute Meinung über mich weiterverbreitet.« Damit ließ er sie stehen, und sie blickte ihm, nun ihrerseits stirnrunzelnd, nach.
»Madame, erzählt«, erklang wieder die weiche Stimme des Vicomte de Ribérac an ihrem Ohr. Ärgerlich fuhr sie herum. Jetzt glaubte sie zu wissen, warum Simon bei ihrem Erscheinen so aufgebracht ausgesehen hatte. Sein Zorn war nicht gegen sie gerichtet - doch er war wütend gewesen. Wie war er dahintergekommen, daß die von ihr belauschten
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