Niccolòs Aufstieg
offenbar nach ihr gefragt hatte.
Das immerhin hatte ihr Vater ihr erzählt. Sie begriff, daß sie nur deshalb noch in seinem Stadthaus in Brügge geduldet und nicht längst nach Seeland oder Brüssel geschickt worden war, weil er mit ihr unzufrieden war und hoffte, sie würde in sich gehen und die Angelegenheit mit Simon bereinigen, solange dieser sich noch in Flandern aufhielt. Merkwürdigerweise war sie in dieser Frage hin- und hergerissen. Simons Benehmen im Garten war für einen gebildeten Edelmann unmöglich gewesen (sagte sie sich). Die Frauen hatten ihn mit rasch geschenkter Gunst verwöhnt - aber war das ein Wunder bei seinem Aussehen? Sie selbst war … Sie selbst hatte seine Anziehungskraft gespürt.
Wenn das Mädchen in Metteneyes Keller, wie gemunkelt wurde, sein Eigentum war, hätte er die Sache wenigstens mit Stil erledigen sollen. Was die Geschichte in Sluis anging, so hatte nach allem, was man hörte, dieser ungebärdige Färberlehrling als erster so hart angegriffen, daß Blut floß, und daher verdient, was er bekam.
Ihr war der feine Vorbehalt aufgefallen, mit dem Männer von Simon zu sprechen pflegten. Er war gut über dreißig. Er hatte sich lange als leichtsinniger Lebemann hervorgetan, aber noch gar nicht lange als erfolgreicher Verwalter. Sie war sich natürlich bewußt, daß die Beleidigung, mit der sie bei ihrem letzten Zusammentreffen seine unerwünschten Annäherungsversuche abwehrte, ihn wütend gemacht hatte. Hinterher wünschte sie, sie hätte sich geschickter verhalten. Aber es ging um Ehe … um eine Ehe, die sie einfädeln mußte, und nicht um das, wovon sie sich an dem Abend beinahe hätte überwältigen lassen.
Hier war, wenn sie wollte, ihre zweite Chance. Er konnte es sich jetzt nicht mehr so unbekümmert erlauben, ihm Wohlgesonnene vor den Kopf zu stoßen. Wenn sie ihm heute abend begegnete, würde sie liebenswürdig sein.
Sie hatte nichts zu verlieren. Auf keinen Fall wollte sie ins Kloster. Sie hatte der Königin von Schottland gedient, ohne in dieser Zeit einen Mann zu finden. Die Herzogin von Burgund lebte von ihrem Gatten getrennt und von gutaussehenden Portugiesen umgeben in Nieppe. Simons Schwester hatte einen dieser Männer geheiratet. Aber es gab keine Garantie, daß in der Entourage der Herzogin auch auf sie ein Mann wartete, der sie zur Frau nahm; wahrscheinlicher war, daß der Herzog sie wollte.
Sie überlegte, wie ihr Vater in so einem Fall reagieren würde, und erkannte, daß er wohl wider alle Hoffnung auf ein solches Ereignis wartete. Er besaß außer ihr und Gelis keine Erben. Er hatte sich hoch verschuldet, um selbst die bescheidene Mitgift aufzubringen, die dem unerwünschten - dem widerwärtigen schottischen Lord mit ihrer Hand zugefallen wäre. Sie besaß eine kostspielige Garderobe und Familienschmuck von einigem Wert sowie ein paar kostbarere Stücke, Geschenke der Prinzessinnen, denen sie gedient hatte. Diese Geschenke hatte sie behalten dürfen, und sie machten sie zu einer besseren Partie.
Wenn sie nur Witwe wäre; eine unabhängige Frau, die selbst über ihr Leben und ihre Intelligenz bestimmen konnte.
Sie schaute sich um. Gleich würden der Sitte entsprechend die Ehrengäste des Schatzmeisters mit Trompetenstößen willkommen geheißen und in feierlichem Zug in den Bankettsaal geleitet werden. Der Kommodore der Flandern-Galeeren würde vermutlich an der Seite des Schatzmeisters gehen. Prinz Ludwig, der französische Dauphin, hatte angeblich auch zugesagt.
Er war ihr einmal in Brüssel begegnet, ein Mann um die Dreißig mit scharfgeschnittenem Gesicht. Sie hatte kurz vor der Abreise in ihr dreijähriges Exil in Schottland gestanden. Er war gerade aus Burgund geflüchtet, um dem Hof seines Vaters in Frankreich zu entkommen. Eines Tages würde er König dieses Landes werden. Herzlich gern, von ihr aus. Inzwischen …
Ah. Feinde von Färbern ächteten also doch nicht alle Färber. Da, auf der anderen Seite des Saals, war Simon von Kilmirren.
Indem sie ihren Vater diskret von Grüppchen zu Grüppchen steuerte, bahnte sich Katelina van Borselen einen Weg durch den gefüllten Saal zu der Stelle, wo unter einem blätterverzierten Phantasiekopfputz aus Taft das auffallend glänzende Haar Simon von Kilmirrens herabfiel. Die Ärmel seines Überrocks waren mit schmalen hängenden Blättern gefiedert, und der Überrock selbst hatte Knöpfe, die wie Eicheln geformt waren. Er stand mit dem Rücken zu ihr.
Und er stand in ungewöhnlich steifer Haltung, wie
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