Niccolòs Aufstieg
dieser Reise mitnehmen. Sogar Silber könnten sie mitschicken bei bewaffnetem Geleitschutz von solchem Umfang. Und wenn wir sie mit unseren Leistungen beeindrucken, werden sie sich vielleicht das nächste Mal, wenn sie eine Eskorte brauchen, wieder an Euch wenden. Ihr müßtet dann allerdings Eure eigenen Kuriere ausbilden.«
»Müßte ich, ja«, sagte Marian de Charetty nachdenklich. Nachdenklich angesichts der Tragweite seiner Worte und der Bedeutsamkeit seiner Entscheidung, die sie gerade erst zu ahnen begann. Er war gerade achtzehn Jahre alt.
Ihr war klar, daß sie ihn nicht nur aus Brügge fortschickte, sondern auch aus der Geborgenheit riß; daß sie ihn nach Genf zurückzukehren zwang, wo er eine elende frühe Kindheit verlebt haben mußte. Und trotz Astorres Behauptung, der Krieg um Neapel werde defensiv geführt und weder im nächsten Jahr noch später komme es zu Kämpfen, war ihr klar, daß sie Claes fortschickte, damit er das Kriegshandwerk erlernte, und daß er, wenn er je zurückkehrte, ein anderer sein würde.
Und dennoch, er mußte lernen, sich zu verteidigen. Und er hatte sich ja, wie er selbst vorhin sagte, wirklich eingemischt, ohne darum gebeten worden zu sein.
Sie sah ihn an. »Es ist das beste so, Demoiselle«, sagte er mit einem schalkhaften Lächeln zu ihrer Beruhigung.
Sie lächelte ebenfalls, ruhig und gefaßt. Darin war sie gut.
Für die großen Handelsherren von Brügge war das nützlichste gesellschaftliche Ereignis in jenem Herbst das Bankett, das der vermögende Schatzmeister des Herzogs, Pierre Bladelin, für den Kommodore der Flandern-Flotte ausrichtete. Es fand in Bladelins rotem Klinkerpalais mit dem achteckigen Spitzturm in der Naaldenstraat statt.
Wäre der Herzog anwesend gewesen, so hätte es im Prinsenhof stattgefunden, und das wäre weit interessanter gewesen, weil es dort, wie alle Welt wußte, ein neues Badebassin gab und mehrere opulent ausgestattete Ruheräume (so hieß es), in denen Früchte und Blumen, allerlei Süßigkeiten und Duftwässer und anderer ungewöhnlicher Luxus die Gäste vor und nach dem Badevergnügen erwarteten.
Es war bekannt, daß der Herzog bei früheren Aufenthalten im Prinsenhof solche Anlässe mindestens zweimal genutzt hatte, um sich aus dem Kreis der Geladenen eine neue Mätresse zu wählen. Erwies sich die Dame als fruchtbar, dann hatte die dazugehörige Familie ihr Glück gemacht. Der Herzog war all seinen außerehelich gezeugten Kindern gegenüber von verschwenderischer Großzügigkeit, und weder von seinen Mätressen noch deren vorherigen oder nachfolgenden Ehemännern waren je Beschwerden über ihn vernommen worden.
Katelina van Borselen hatte in ihrer eigenen Familie und der ihrer Cousins und Cousinen oft genug von diesen Geschichten gehört. Und nun, angesichts der edlen Einladung von Bladelin, kam das Thema erneut zur Sprache. Die de Veeres hatten die Einladung angenommen, ebenso ihr Vater. Und da ihre Mutter sich in Seeland aufhielt, wollte die mit höfischen Sitten vertraute Katelina an ihrer Stelle an dem Fest teilnehmen.
Die de Veeres fanden, das Haus des Schatzmeisters Bladelin mache durchaus etwas her, wie sich das ja auch gehörte bei den Ämtern, die er bekleidete, und der Zahl der Jahre, die er schon die Gunst des Herzogs genoß, obwohl er der Sohn eines einfachen Leinwandfärbers war.
Katelina dachte daran, als sie das hochherrschaftliche Haus des Gastgebers betrat und an dem verzierten Tabernakel, dem Wappenschild und dem gemeißelten Standbild der Madonna mit dem anbetend vor ihr knienden herzoglichen Schatzmeister vorüberging.
Sie erwartete nicht, bei diesem festlichen Anlaß Färbern oder ihren Söhnen oder ihren Konsulenten zu begegnen. Ächteten Feinde von Färbern eigentlich alle Färber, weil diese zusammenhielten?
Margriet Adorne (ihr Vater allerdings nicht) hatte ihr erzählt, daß die Schotten sich gesammelt hinter Simon von Kilmirren gestellt hatten, nachdem dieser sich vom Teufel des Übermuts geritten in Sluis mit diesem impertinenten Handwerksburschen geprügelt hatte. Es sei ein fairer Kampf gewesen, behaupteten sie, wenn auch am Ende ein Unfall den Spaß verdorben hatte. Seither mußte der Sieger, ob er wollte oder nicht, im Haus Jehan Metteneyes oder Stephen Angus’ bleiben und durfte sich nur in Begleitung des Bischofs oder seines Verwalters sehen lassen. Einmal hatte er ihren Cousin aufgesucht, bei dem der Bruder des schottischen Königs zu Gast war. Katelina wußte davon, weil er Wolfaert
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