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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Dunnett
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schon so bald nach seiner Genesung wieder eine erwachsene Frau hochheben konnte. Rasch ging er auf die erregte Madame de Fleury zu, die prompt in Ohnmacht fiel. Er geriet leicht ins Schwanken, als er sie auffing, dann ließ er sie behutsam zum gefliesten Fußboden hinunter. Claes’ Lächeln war verschwunden und er stellte die Dienerin Tasse auf den Boden, während der Mohr Loppe, ohne daß es ihm einer befohlen hatte, eine Lampe aus ihrem Halter nahm und herbeitrug. In ihrem Licht beugte sich Tobias über Jaak de Fleurys Ehefrau.
    Zweifellos würde er eine korpulente Frau zu sehen bekommen. Das aber, was er außerdem zu sehen bekam, überraschte ihn. Madame de Fleury, deren Ehemann um die fünfzig zu sein schien, war höchstens dreißig Jahre alt. Ihre Haut war faltenlos und ihr Haar, unbedeckt und nur mit Bändern geschmückt, glänzte in sattem Kastanienbraun. Mit einer Maske vor dem Gesicht hätte sie bei einem Mann, der einen gewissen Mangel an Proportionen zu übersehen bereit war, durchaus Hoffnungen wecken können. Ohne Maske jedoch war sie unleugbar häßlich. Während Tobias zu der knolligen Nase, dem ausladenden Kinn, der niedrigen fliehenden Stirn und den festgeschlossenen kleinen Augen hinuntersah, fragte er sich beiläufig, wie groß ihre Mitgift gewesen sein mußte, um Jaak de Fleury zur Heirat zu bewegen. Der kompakte Körper war in Samt gehüllt. Kinderlos, hatte der Konsulent Julius gesagt. Mit Smaragden geschmückt.
    Als sie mit erhobener Hand blind nach ihm grapschte, schloß er seine Finger um die ihren. »Habt keine Angst. Wir sind Gäste in Eurem Haus, Madame de Fleury. Aus Brügge. Im Auftrag Eurer Verwandten Marian de Charetty.«
    Sie öffnete die Augen und dann die Lippen, über einem breiten Gebiß. »Er wollte Tasse Gewalt antun.«
    Tobias schob einen Arm unter ihre Schultern und half ihr, nicht ohne Mühe, sich aufzusetzen. »Er hat sie begrüßt«, erklärte er. »Erkennt Ihr ihn nicht?« Er war sich bewußt, daß hinter ihm schlecht gelaunt und ungeduldig der Engländer Thomas wartete, während der Mohr Loppe sich vorsorglich in den Schatten zurückgezogen hatte.
    Die Dienerin Tasse stand an Claes’ Seite und sah ängstlich zu ihm hinauf, während Claes zu der auf dem Boden sitzenden Frau hinunterblickte. Sein Gesicht war ausdruckslos, die Grübchen waren nicht zu sehen, und der Mund nahm weniger Raum ein als sonst. Bis er sich plötzlich auf die vertraute Art in die Breite zog. »Mir wird keiner vorwerfen, daß ich jemandem Gewalt antue, solange Julius da ist. Dafür ist er nämlich zuständig. Soll ich ihn herholen?«
    Die Frau runzelte die Stirn und richtete sich ein wenig auf. »Der kleine Claikine?« sagte sie.
    »Nein. Der große Claes«, entgegnete Claes ruhig. Er trat nicht näher.
    Die Frau holte keuchend Atem. »Mir ist…«
    »Laßt mich Euch in Euer Schlafzimmer bringen«, sagte Tobias. »Ich bin Arzt. Euer Gatte hätte Euch unser Kommen ankündigen sollen.«
    Mit scheuem Blick wandte sie ihm das häßliche Gesicht zu. »Ich hatte es vergessen«, sagte sie. »Er hat zu tun. Wein für seine Gäste. Meine Dienstboten…«
    »Sie werden sich schon um uns kümmern. Das hat Zeit. Ihr gehört in Euer Schlafzimmer, Ich helfe Euch. Thomas, Claes, Loppe - bleibt hier, bis ich zurück bin.«
    Als er sie hinausführte, bemerkte er den Blick, den sie Claes über die Schulter zuwarf. Doch der hatte sich bereits umsichtig zu Loppe an die Wand zurückgezogen und redete leise lachend auf diesen ein. Tobias meinte, ein Echo seiner eigenen Stimme zu vernehmen. Während er sich abmühte und die leidende Madame de Fleury zu ihrem Zimmer schleppte, beschäftigte ihn der Gedanke, daß er hier vielleicht an Verwandtschaftsverhältnisse gerührt hatte, die besser unangetastet geblieben wären. Er konnte damit umgehen. Er kannte seine Fähigkeiten. Aber heiter würde es nicht werden.
    Und so war es auch. Die Dame des Hauses ließ sich entschuldigen und blieb dem Abendessen fern. Der Hausherr wirkte, als er endlich mit Astorre und Julius erschien, höchst verärgert und beschränkte sich bei Tisch auf bissige Höflichkeiten. Die Untergebenen, Loppe und Claes, waren nicht zu sehen, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekamen; und Thomas, der mit bei Tisch saß, begriff schnell, daß er besser den Mund hielt. Der Herr des Hauses Fleury wollte mit den Abgesandten der mit ihm nur weitläufig verwandten Marian de Charetty nichts zu tun haben und wünschte nun, da die Geschäfte erledigt waren, sie mögen

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